Going. Wladimir Klitschko bereitet sich beim Tiroler Stanglwirt auf seinen WM-Kampf vor. Am 20. Juni wird Klitschko die Titel der Verbände IBF und WBO in der vermutlich ausverkauften Schalker Arena gegen den Engländer David Haye verteidigen.

„Lieber Gast,

hier findest Du Rast,

und ein Platz für Dein Ross,

wenn Du eins hast.

Going. Die Gäste beim Tiroler Stanglwirt, der den Spruch an seine Hauswand hat malen lassen, haben kein Ross, sie haben gleich ein paar hundert Rösser unter der Motorhaube. In der Tiefgarage parkt der Ferrari neben dem Maserati. Menschen, die sich auf der linken Autobahnspur zuhause fühlen, sind im wahren Leben eher rechts heimisch. Entsprechend gediegen und heimatverbunden geht es im Fünfsterne-Promi-Hotel des Örtchens Going zu.

Das Schild „Nur für Hotelgäste” regelt noch in der vergoldeten Tür den Zugang zur Lobby mit ihren roten Polstersesseln und ihren Holzbalken. Man bleibt lieber unter sich, und Sorgen bleiben sowieso draußen.

Normalerweise. Gestern nicht, gestern Abend flogen sie einfach durch die vergoldete Tür, interessierten sich nicht für Verbotsschilder und trafen Box-Weltmeister Wladimir Klitschko wie ein Leberhaken. Klitschkos WM-Kampf, in dem der Schwergewichtler am 20. Juni in der Schalker Arena seine Titel der Verbände IBF und WBO gegen David Haye verteidigen wollte, ist geplatzt! Der Engländer hat sich im Training verletzt.

Haltet die Welt an, damit Klitschko aussteigen kann! Den Ukrainer haut nicht viel um – außer vielleicht mal die Faust des Südafrikaners Corrie Sanders bei der spektakulären Niederlage des Champions. Aber diese unverhoffte Absage trifft ihn ebenso heftig. „Ein Schock”, sagt er in der Lobby des Stanglwirtes. „Ich kann es gar nicht glauben.”

Doch sein Manager Bernd Bönte bestätigt den Ausfall des Kampfes. „Wir haben schon fast 60 000 Karten verkauft”, schüttelt er den Kopf. „Es sollte doch der Box-Abend des Jahres werden!”

Was nun? Klitschko ist sprachlos. Gestern hatte er trainingsfrei, wie jeden Mittwoch. Er hat lange geschlafen, in Ruhe gefrühstückt, dann ist er im Schwimmbad gewesen. Aktive Erholung für den Boxer, der seit vier Wochen im Schatten des Bergzuges „Wilder Kaiser” trainiert.

Einen Tag zuvor sah er beim Sparring im Boxring der Tennishalle des Luxus-Hotels noch nach blendender Form aus. Vier Runden lang trieb er seinen Gegner vor sich her. Es ist kein schöner Beruf, Sparringspartner von Klitschko zu sein. Niemand interessiert sich für den Namen, niemand für den Schmerz. An diesem Nachmittag traf es Mike, einen Schwergewichtler aus England. Klitschko die Axt, Mike der Baum. Klitschko der Hammer, Mike der Nagel. Nach den vier Runden hat Mike Mühe, durch die Ringseile zu klettern. Er schnauft.

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© Bongarts/Getty Images

Alles umsonst? Vielleicht nicht, das Management denkt bereits weiter. Ein Ersatzgegner soll her. Aber wer? Wer ist auf die Schnelle greifbar?

Die Gerüchte gehen bereits Gassi. Schwergewichtskämpfe ziehen Spekulationen an wie die Marmelade die Wespen. Es gibt zwei gute Schwergewichtler, die genau zum richtigen Zeitpunkt in Form sind: Nikolai Walujew und Ruslan Chagaev. Der WM-Kampf (WBA-Version) des Russen und des Usbeken ist am vergangenen Samstag in Helsinki geplatzt, weil im Blut von Chagaev Hepatitis-B-Viren aufgetaucht sind.

Klitschko konnte die Absage des Kampfes von Helsinki nicht ganz nachvollziehen. „Beide haben doch vor zwei Jahren schon einmal gegeneinander gekämpft”, sagte er am Abend, bevor sein eigener Kampf platzte. Ob er gegen Hepatitis B geimpft sei? „Ich weiß es gar nicht so genau”, so die Antwort. „Ich muss in mein Impfbuch gucken. Aber da ich viel durch die Welt reise, bin ich gegen so gut wie alles geimpft.”

Wladimir Klitschko . Foto: imago
Wladimir Klitschko . Foto: imago © WITTERS

Ob er gegen Chagaev geboxt hätte? „Das müssen die Ärzte entscheiden, davon weiß ich zu wenig.” Eine Antwort, die noch Gewicht bekommen könnte. Genauso im Dunkeln wie bisher der neue Klitschko-Gegner, ist der Verletzungsgrund von David Haye. Der 28-Jährige ist vor Wochen abgetaucht, ist aus seiner Heimatstadt London verschwunden und trainiert auf Zypern.

Irgendwo in den Bergen soll er sein, in einem privaten Gym. Vielleicht so groß wie zwei oder drei Box-Ringe soll das Gym sein. Ruft man seinen Manager an, sagt der: „Klar, kommt vorbei und guckt euch das Training von David an.” Doch ein oder zwei Tage später folgt der Rückzieher.

War die Verletzung schon länger bekannt? Bis gestern Abend blieben Rätsel. Und ein Klitschko, der mit missmutiger Miene durch die Lobby lief.