Istanbul. Der türkische Premierminister stellt seine Regierungsmannschaft neu auf – Europa-Skeptiker wird Außenminister.

Mit einer erneuerten Mannschaft will der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan seine Regierung aus dem Stimmungstief und sein Land aus der Wirtschaftskrise führen. Die am Freitagabend bekannt gegebene Kabinettsumbildung ist die umfangreichste, seit die islamisch-konservative Regierung vor sechseinhalb Jahren an die Macht kam.

Neu besetzt hat Erdogan unter anderem die Schlüsselressorts für Auswärtiges, Wirtschaft, Finanzen und Justiz. „Von Zeit zu Zeit sind Veränderungen wichtig, weil sie neuen Enthusiasmus bringen können”, sagte der Premier. Neuer Außenminister ist Ahmet Davutoglu, der bisherige außenpolitische Chefberater Erdogans. Der Politologie-Professor gilt als treibende Kraft hinter der zunehmenden Annäherung der Türkei an die islamische Welt unter Erdogan.

Er wünsche sich für sein Land eine größere Rolle im Nahen Osten und der Balkan-Region, sagte Davutoglu am Wochenende. Offen ist, was seine Berufung zum Außenminister für die EU-Kandidatur der Türkei bedeutet – Davutoglu gilt als Europa-Skeptiker. Der erst Anfang des Jahres ernannte Staatsminister für die Europapolitik und Verhandlungsführer für die Beitrittsgespräche, Egemen Bagis, bleibt allerdings im Amt. Er ist ein engagierter Befürworter des Beitrittsprojekts.

Nicht entschlossen genug

Mit der Kabinettsumbildung reagiert Erdogan auf das schwache Abschneiden seiner islamisch-konservativen AKP bei den Kommunalwahlen Ende März. Die AKP blieb zwar landesweit stärkste Partei, verlor aber gegenüber der Parlamentswahl vom Sommer 2007 acht Prozentpunkte. Die Einbußen dürften vor allem ein Ergebnis der Wirtschaftskrise sein, die der Türkei den höchsten Arbeitslosenstand ihrer jüngeren Geschichte beschert hat. Erdogan musste sich bisher vorwerfen lassen, nicht entschlossen genug auf die Rezession reagiert zu haben.

Mit der Rückkehr des bisherigen Außenministers Ali Babacan ins Wirtschaftsressort, das er bereits von 2002 bis 2007 erfolgreich verwaltete, zeichnet sich eine Kurskorrektur ab – zumal Babacan jetzt auch die Zuständigkeit für das Bankwesen, die Kapitalmarktaufsicht und das Schatzamt erhielt und damit eine Art Superminister ist.

Premier Erdogan unterstrich zwar, das Revirement bedeute „kein Eingeständnis von Fehlern”, betonte aber zugleich, der Kompetenzzuwachs des Wirtschaftsressorts dienten dazu, „dem Ministerium mehr Macht zu geben und die Wirtschaft aus einer Hand zu managen.” Die Rolle Babacans, der 2001 zu den Gründungsmitgliedern der AKP gehörte und als enger Vertrauter von Premier Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül gilt, wird auch dadurch aufgewertet, dass er nun als einer von drei Vizepremiers amtiert. Seine vorrangige Aufgabe dürfte es sein, die von seinem Vorgänger Mehmet Simsek seit Monaten verschleppten Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über ein neues Beistandsabkommen schnell zum Abschluss zu führen. Simsek, den Erdogan 2007 von der Investmentbank Merrill Lynch in die Regierung geholt hatte, wechselt ins Finanzministerium und steht dort vor der schwierigen Aufgabe, das ausufernde Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen.

Eine Überraschung ist die Rückkehr des islamischen Hardliners Bülent Arinc in die Regierung. Arincs Berufung ist wohl ein Zugeständnis an den strenggläubigen Flügel der Regierungspartei. Als Parlamentspräsident war Arinc in den vergangenen Jahres ein rotes Tuch für die türkischen Militärs. Pikant und womöglich politisch brisant: Er wird als Vizepremier jetzt den Generälen im Nationalen Sicherheitsrat gegenüber sitzen.