Essen. Stress, Frust und Gewaltattacken machen Polizisten krank. Ein Beamter aus der Düsseldorfer Altstadtwache ruft um Hilfe.

Ausgebrannt, frustriert, körperlich und psychisch zermürbt, weil sie immer öfter Opfer von Gewaltattacken sind: Mindestens 20 Prozent der 38 000 Polizisten in Nordrhein-Westfalen sind nach Angaben des Innenministeriums häufiger als sechs Wochen im Jahr dienstunfähig. "Viele Kollegen sind einfach am Ende ihrer Kräfte”, sagen die Polizeigewerkschaften. Sie zeichnen ein erschütterndes Bild aus dem Dienstalltag in deutschen Polizeibehörden.

Langsam kommt es ans Licht. Seit Jahresbeginn findet in den Polizeidienststellen das „Betriebliche Eingliederungsmanagement” statt. Wer länger als sechs Wochen krank ist, wird zu einem vertraulichen Gespräch gebeten, um über die persönliche Situation zu sprechen. Was dort zur Sprache kam, schockierte die Vorgesetzen: „Die Lage einzelner Polizisten ist teilweise pure Verzweiflung und Sorge um die eigene Gesundheit und das Familienleben”, bestätigt Dieter Wendt, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft (DPolG).

Die Zahlen

Im Jahr 2008 waren 7538 Polizeibeamte länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig. Die größte Anzahl verzeichnete Köln (899) gefolgt von Dortmund (533), Essen (344), Aachen und Bochum (je 396) und Düsseldorf (297).

Daten über die Art der Erkrankungen und deren Ursachen liegen aus Gründen des Datenschutzes nicht vor, teilte das Innenministerium mit. Eine seriöse Bewertung der Zahlen sei mangels Vergleichszahlen kaum möglich.

Wechseldienste rund um die Uhr, ausufernde Bürokratie, eine immer dünner werdende Personaldecke bei gleichzeitig steigenden Anforderungen: Für Frank Richter, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), liegt ein Großteil der Probleme im System. „Ich kenne Kollegen, die seit Anfang des Jahres noch kein Wochenende dienstfrei hatten.” Er fordert veränderte Dienstzeiten, individuelle Lebensarbeitszeiten. „So aber raubt man ihnen eine Lebensperspektive. Sie werden in ein System gepresst, das nicht mehr zeitgemäß ist. Das macht krank.”

Hemmschwellen sinken

Immer öfter werden Polizeibeamte krank geschrieben, weil sie im Dienst Opfer einer Gewaltattacke wurden, körperlich oder psychisch Schäden davon trugen. Die Zahl der Gewaltdelikte gegen Polizisten nimmt zu. „Zuletzt gab es Steigerungsraten von 200 Prozent”, sagt Richter. 6000 Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte wurden im vergangenen Jahr in NRW registriert. Die Hemmschwelle sinkt, sagen Beamte im Außendienst.

Dass dies nicht bloße Kampfparolen der Gewerkschaften sind, zeigt der Brief eines Dienstgruppenleiters in der Düsseldorfer Altstadtwache, der dieser Zeitung vorliegt. Darin schildert er die Erlebnisse und Vorfälle in einer Samstagnacht in der Düsseldorfer Altstadt. Dort, wo sich Kneipe an Kneipe reiht, seien seine Beamten in rund hundert Einsätzen immer wieder zwischen die Fronten alkholisierter und höchst aggressiver Kneipenbesucher geraten. „Die Gewaltspirale dreht sich immer schneller”, schreibt der Beamte an den Vorgesetzten der Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz. Ein Hilferuf.

Die Luft in der Altstadt habe geknistert, heißt es in dem Brief. Es habe den üblichen Sauftourismus gegeben, 50 Junggesellenabschiede, ein Dutzend Fußball-Vereinsfahrten, 44 gewaltbereite Bayern-Fußballfans auf der Suche nach Anhängern der Düsseldorfer Fortuna. Für die Beamten wurde es eine Nacht, in der sie zahllose Schlägereien schlichten mussten, dabei an ihre physischen und psychischen Grenzen gingen.

Angst in den Gesichtern

„Ich bin an diesem Wochenende von Menschen aller Altersklassen bespuckt, beleidigt mit Flaschen beworfen und sonst wie angegriffen worden”, schreibt der Beamte. „In den Gesichtern jüngerer Kollegen habe ich Angst gesehen. Einige sprechen nicht darüber, weil es nicht cool ist.” Aber er wisse, dass seine Mitarbeiter deshalb krank würden.

Die Entwicklung bei den Sauf- und Erlebniswochenenden in der Düsseldorfer Altstadt seien nicht mehr mit dem vorgesehenen Personal zu meistern, klagt der Verfasser. Er habe ein ungutes Gefühl: „Gibt die Polizei das Gewaltmonopol in der Altstadt ab, dann werden wir die Einsätze verlieren.”