6000 Beschäftigte demonstrieren in Berlin für staatliche Hilfen. Die Große Koalition ringt noch um den richtigen Weg
Berlin/Essen. Ein gellendes Pfeifkonzert empfängt Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), als er vor die etwa 6000 Arcandor-Beschäftigten tritt. Der Auftritt war ursprünglich nicht geplant. Mut jedenfalls hat der Wirtschaftsminister, der die Pfiffe mit gewandten Worten zum Verstummen bringt. „Ich ducke mich nicht weg”, sagt Guttenberg, inhaltlich aber verspricht er nichts: nur eine Prüfung der geforderten Bürgschaft für den angeschlagenen Karstadt-Mutterkonzern. Zum Schluss treibt der Minister seinen Sicherheitsleuten die Schweißperlen auf die Stirn, als er auf die Demonstranten zusteuert und Einzelgespräche beginnt.
Mehr als 1000 Arcandor-Beschäftigte sind aus NRW nach Berlin gereist. Die Gewerkschaft Verdi hatte dazu aufgerufen, auch das Management war vor Ort. „Wir fordern eine Bürgschaft. Wir wollen nichts geschenkt haben”, rief Verdi-Vize Margret Mönig-Raane. Auf den Transparenten steht: „Das Warenhaus lebt”. Tatsächlich geht es für den Karstadt-Mutterkonzern ums Überleben. Am 12. Juni werden Millionenkredite fällig. Kann Arcandor sie nicht bedienen, droht die Insolvenz.
Die Unsicherheit ist enorm. Bereits zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit verschob der Essener Handels- und Touristikkonzern die Veröffentlichung der Geschäftszahlen – diesmal auf den 18. Juni. Ein wichtiges Datum ist der heutige Donnerstag. Vor dem zuständigen Bürgschaftsausschuss will Konzernchef Karl-Gerhard Eick für staatliche Hilfen werben.
Die Bürgschaftsfrage spaltet die Große Koalition. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) ist strikt gegen Staatshilfen für Arcandor. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) lassen nun Sympathie für so einen Schritt erkennen.
Es gehe bei Arcandor schließlich „um 50 000 Jobs, überwiegend Frauen”, sagt Steinmeier. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass diese uns weniger wert seien als die überwiegend von Männern besetzten Arbeitsplätze etwa bei Opel.” Steinbrück warnt vor einer voreiligen Absage an Arcandor. Die SPD ist schließlich um ein besseres Verhältnis zu den Gewerkschaften bemüht. Verdi hatte sich vehement für Staatshilfen stark gemacht – ebenso wie Linksparteichef Oskar Lafontaine.
Der Wirtschaftsweise Christoph Schmidt dagegen äußert sich skeptisch. „Wenn ich einer einzelnen Firma helfe, welchen anderen schade ich dann?”, fragt der Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). „Ein Wegfall eines Unternehmens, auch aus dem Einzelhandel, ist zwar schmerzhaft für die Beschäftigten, nutzt aber den Wettbewerbern.” Schmidt sieht „die Gefahr eines Dammbruchs”.
Auch Metro-Konzernchef Eckhard Cordes warnt vor Wettbewerbsverzerrungen und spricht sich gegen Staatshilfen für die Konkurrenz aus. Offen spekuliert Cordes über eine Arcandor-Insolvenz. Ein guter Insolvenzverwalter sei in der Lage, die gesunden Unternehmensteile mit Hilfe neuer Eigentümer zu retten, sagt er.