Wangerooge. Dr. Frank Kortenhorn ist der Inselarzt auf Wangerooge - der einzige Inselarzt, wohlgemerkt. Wenn sich im Sommer täglich 10.000 Menschen dort aufhalten, ist das viel zu wenig. Weil er zudem auch ständig Bereitschaft schiebt, denkt der Mediziner schon an eine Praxis auf dem Festland.
Am Wochenende nach Pfingsten kommt es zum „5. Wangerooger HNO-Tag”, an dem „von Jahr zu Jahr mehr Personen teilnehmen” – man liest das in der Einladung und ist nicht überrascht, so angesichts der Insel. Um Schwindel und Tinnitus geht es da, um Allergien, Nebenhöhlen und 1000 Krankheiten, die sonst der Inselarzt Dr. Frank Kortenhorn im Alleingang bekämpft.
Traumberuf Landarzt
Neben dem Restaurant Klabautermann, gegenüber vom Fischgeschäft Kruse, stellt Kortenhorn sich auf seinem Praxisschild vor als „Facharzt für Innere Medizin, Allgemeinmedizin, Notfallmedizin, Kur- und Bademedizin”, und wer ihn daher für die sprichwörtliche eierlegende Wollmilchsau hält, liegt richtig: Der Mann ist der einzige Arzt auf Wangerooge. Die aufgeführten Sprechstunden hätte er sich eigentlich schenken können, da müsste stehen: immer!
Das hat er so nicht kommen sehen: 2006 kam Kortenhorn in seinen geliebten Norden, nach Stationen im Schwerter Krankenhaus und in Freienohl, und damals gab es durchaus noch einen Kollegen auf Wangerooge. „Ich wollte immer Landarzt sein, arbeiten und doch mittags mit am Tisch sitzen und fragen: Wie war die Schule?”, sagt der vierfache Vater.
Dauerzustand Bereitschaftsdienst
Doch Anfang 2009 löste der Kollege seine Praxis auf, ja er zog sicherheitshalber gleich ganz aufs Festland, und zurück blieben der Allgemeinarzt Kortenhorn, der Notarzt Kortenhorn, der Notdienstarzt Kortenhorn sowie der Unfallarzt Kortenhorn.
„Wenn ich einen Notfall habe, steht die Praxis eine Stunde still”, sagt der 41-Jährige. An sich liebt er ja die Insel-Situation, die soziale Enge, leben und lieben lassen, Hans kennt Franz und dessen ganze Lebensgeschichte sowieso, „Sie müssen das mögen, sonst ist es wie Alcatraz” – aber Kortenhorn liebt es nicht um den Preis, ständig im Dienst zu sein oder bereit: „Morgen kann ich einen schweren Fehler machen.” Der Zustand ist offensichtlich unhaltbar – doch derzeit ungelöst.
Kein Arzt nimmt heute noch eine Inselpraxis
Denn was im Winter noch für eine gewisse Zeit beherrschbar scheint, allein unter 1000 Insulanern, ändert sich gerade: Die Saison hat begonnen, im Sommer werden täglich 10 000 Menschen auf der Insel sein. Jugendliche werden sich beim Fußball die Bänder zerren, Touristen vom Rad stürzen, auf das sie sich nach 20 Jahren erstmals wieder wagten, Betrunkene im Graben liegen, nachts natürlich, dann schellt die Polizei den Arzt raus: Die Schelle geht aufs Handy.
„Sie können nicht jeden abgerissenen Nagel und jede Kopfwunde ausfliegen, da müssten sie eine eigene Linie einrichten”, sagt der Insel-Arzt. Apropos Insel: Wenn abends jemand einen Herzinfarkt hat, das Flugzeug aber nicht fliegen kann wegen des Nebels und das Schiff nicht fahren kann wegen der Ebbe, dann bringt Kortenhorn den Menschen in seiner Praxis durch die Nacht. „Auf dem Festland können Sie sagen: 112, mach mal.” Hier wird es morgens, bis der Patient an Land gebracht werden kann.
5000 Euro für Vertretungen
Nun muss man auch sagen: 5000 Euro kriegt er im Vierteljahr von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), um eine Wochenend-Vertretung zu bezahlen; eine preiswerte nimmt 600 bis 700 Euro für zweieinhalb Tage, und so kann er etwa jedes zweite Wochenende abdecken. Der Rest der Zeit als Dauerdienst ist aber noch immer unzumutbar, Kortenhorn drängt auf eine Lösung, denn von selbst wird sich nichts ändern: Kein Arzt nimmt heute noch eine Inselpraxis, das ist an der ganzen Nordsee so.
Er könnte einen Arzt anstellen, „aber wenn ich bankrott gehe? Ich habe für vier Kinder Verantwortung.” Am Dienstag wird darüber gesprochen, Vertreter von Stadt und KV treffen sich mit Kortenhorn. Seine Vorstellung: Die KV stellt einen Arzt an.
Ob das geht, weiß er nicht, „aber es muss eine Lösung geben”. Sonst gibt es eine ganz andere: In Neuharlingersiel, auch im hohen Norden, aber auf der richtigen Seite des Wassers, werden gerade zwei Landarzt-Praxen frei.