London. Politik-Karrieren enden immer in Tränen, so lautet eine Lebensweisheit in Westminster. Sie ist wohl kaum treffender als in diesen Tagen: Das britische Regierungsviertel rutscht stetig tiefer in seinen Spesenskandal. Für Empörung sorgte unter anderem ein Entenhaus auf der Spesenliste.

Mehr als drei Jahrhunderte ist es her, dass zuletzt ein Speaker des Londoner Unterhauses aus dem ehrenvollen Amt gejagt wurde. Doch der historische Abgang von Michael Martin dürfte nicht Ende, sondern Beginn einer rabiaten Revolution sein, die das Leben eines jeden der 646 britischen Abgeordneten umkrempeln wird.

Symbol des Lottersystems

Das Entenhaus des Sir Peter Viggers. Weder dem britischen Steuerzahler noch dem Federvieh behagte der Bau. Foto: afp
Das Entenhaus des Sir Peter Viggers. Weder dem britischen Steuerzahler noch dem Federvieh behagte der Bau. Foto: afp © AFP

Seit zwei Wochen ist jeder Tag ein Tag der Abrechnung. Allmorgendlich enthüllt der „Daily Telegraph” weitere Namen von Abgeordneten, die sich vom Steuerzahler überhöhte Spesenabrechnungen erstatten lassen. Auf 30 000 Euro für die Holzfäulnis-Behandlung ihres Zweitwohnsitzes kam da eine Parlamentarierin, andere stellten dem Spesenbüro Pferdedung, Champagner-Schalen oder Kreditzinsen für bereits abgezahlte Darlehen in Rechnungen.

Doch keiner der kontroversen Luxuskäufe ist so sehr zum Symbol des Lottersystems geworden wie die „Villa Stockholm”: ein Zierdehaus für Enten, das Tory-Vertreter Sir Peter Viggers auf einer künstlichen Insel des Privatsees aufbauen ließ. Kosten für den Steuerzahler: 2000 Euro.

Seit der Enthüllungsserie rollen fast täglich Köpfe, zum Glück nicht mehr im buchstäblichen Sinne wie vor drei Jahrhunderten. Doch sechs Politikerrücktritte in zehn Tagen machen den rasanten, unberechenbaren und auch gewaltsamen Kurs der Entwicklung deutlich. Die konservative Abgeordnete Nadine Dorries schilderte die Atmosphäre im Parlament als „unerträglich”: „Wir fürchten, dass Kollegen Selbstmord begehen. Wenn einer länger nicht gesehen wurde, telefonieren wir ihm hinterher und gucken, ob er noch lebt.” Westminster hat den Abgeordneten Psychologen zur Verfügung gestellt; einige Wohnsitze stehen mittlerweile aus Sorge vor wütenden Wählern unter Polizeischutz.

Hunderten Abgeordneten droht das Aus

Die Hälfte aller Abgeordneten, so Schätzungen von Forschern der Plymouth University, verliert spätestens nach der nächsten Wahl ihr Amt – bei dem größten Hausputz im Parlament seit 1945 werden Hunderte zurücktreten, ausgeschlossen oder abgewählt werden. Mit Magenschmerzen blicken Labour und Tories auch auf die EU-Wahl am 4. Juni: In Umfragen liegen nicht mehr sie, sondern radikale Splitter- und Protestparteien vorne.

Für eine Parlamentskrise ist dieser Zeitpunkt der wohl ungünstigste. Großbritannien durchläuft die tiefste Rezession Europas. Das Land brauchte eine handlungsfähige Regierung, doch die hat es nicht: Zur Lähmung durch die Spesenaffäre kommt der Niedergang der regierenden Labour-Partei, die in Umfragen abgeschlagen hinter der konservativen Opposition liegt.

Für Tory-Chef David Cameron hingegen bedeutet der Skandal eine goldene Chance, Traditionalisten und Hinterbänkler loszuwerden und der Partei ein modernes Image zu verpassen. Gelegen kommt auch den Briten der Skandal. Für sie war es nie einfacher, raffgierige Politiker zu erkennen und loszuwerden.