Essen. Moderne Autos sammeln immer mehr Daten über die täglichen Fahrten - das hilft einerseits der Polizei bei Ermittlungen zum Beispiel über Unfälle. Andererseits jedoch entfacht die Datenflut ein mulmiges Gefühl: Wieviel geben sie über den Fahrer preis - und möchte der das?
11. Oktober 2008, die Loiblpass-Bundesstraße am Wörthersee: Beim Überholmanöver kommt am späten Abend ein schwerer VW Phaeton ins Schleudern, kracht gegen einen Betonpfosten und überschlägt sich. In dem Wrack stirbt Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider. Es gibt keine Zeugen. Wenig später zerpflücken zwei „Techniker aus Wolfsburg” in einer Krumpendorfer Werkstatt die Reste der Nobelkarosse und stellen fest: Haider fuhr mit Tempo 142 – doppelt so schnell wie erlaubt.
Computer ersetzen zunehmend die Zeugenaussage
Wer künftig Polizisten von „digitalen Spuren” reden hört, muss keine Mord-Fahnder vor sich haben. Es kann sein, dass sie nur einen Unfall aufnehmen. Was viele Autofahrer nicht ahnen: Bordcomputern und ihren verräterischen Datenspeichern kommt bei der Crash-Aufklärung eine immer wichtigere Rolle zu. Sie können sogar die menschliche Zeugenaussage ersetzen. Wie eben im Fall des Jörg Haider.
Wer was wo am Steuer tut, merken sich der kluge Chip im Airbag, das Elektronische Stabilitätssystem oder auch das Motorsteuergerät, das alle Antriebsfunktionen regelt und das die VW-Fachleute in Haiders Phaeton ausgewertet haben. Kracht es, registriert die Technik nicht nur die zuletzt gefahrene Geschwindigkeit, sondern auch: Ob Fahrer oder Beifahrer angeschnallt waren. Wie weit das Gaspedal durchgedrückt, wie stark das Lenkrad eingeschlagen und welchem Druck die Fußbremse ausgesetzt wurde.
Die neue Auto-Elektronik ist so schwatzhaft, dass die NRW-Polizeiexperten Uwe Hoffmann und Martin Münchhausen in der behördeninternen Zeitschrift „Streife” feststellen: „Für die Analyse schwerer Verkehrsunfälle” werde das Verfahren in der Praxis zunehmend bedeutsam.
Zumal andere Beweissicherungen wie die Messung der klassischen Bremsspur im Zeitalter des Antiblockiersystems ABS auch mal versagen, Zeugenaussagen auseinanderklaffen und Starkregen, ein klassisches Unfallwetter, schon immer gern klärende Hinweise verwischt hat.
Keine großflächige Nutzung
Zwar betont das Landesinnenministerium: Die Computeranalyse solle keineswegs großflächig genutzt werden, „wir kommen mit unserem bisherigen Instrumentarium gut hin”. Auch der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft sagt: „Bei 90 Prozent der Unfälle ist die Ursache klar”. Hoffmann und Münchhausen aber sind überzeugt, dass „für die Schuldfrage wesentliche Daten wie die Fahrgeschwindigkeit vor einem Bremsmanöver” heute oft nur noch eingeschränkt verlässlich feststellbar sind”.
Ist Airbag-Auswerten rechtlich erlaubt? Mehr: Ist es technisch überhaupt machbar?
„Falls die Auswertung erforderlich ist, wird sie gemacht”, sagt das zuständige Düsseldorfer Innenministerium. Die Ermittler wenden einen juristischen Trick an. Sie leiten ihr Recht aus den Paragraphen 94 und 98 der Strafprozessordnung ab, beschlagnahmen das Fahrzeug und dürfen dann alles tun, um den Unfallvorgang zu klären. Zumal, bei Verletzung oder Tod eines Beteiligten, auch eine Straftat in Frage kommen könnte.
Die praktische Machbarkeit ist eine andere Sache. Die elektronische Schnittstelle ist mit drei Schrauben unter der Mittelkonsole befestigt und kann aus einem verunglückten Auto gut geborgen werden. Der Schlüssel zum Datenschatz selbst gehört indes zum gut gehüteten Knowhow der Fahrzeughersteller.
Dort ist die Angst groß, die Konkurrenz könne auf Umwegen an die Rezepte kommen. Nicht mal der Polizei gegenüber wird immer mit offenen Karten gespielt.
Bislang rückt offenbar erst ein schwedischer Autobauer freiwillig die Geheimtechnik heraus – und informiert sogar seine Kunden in der Gebrauchsanleitung: „In Ihrem Pkw befinden sich mehrere Computer, die detaillierte Daten aufzeichnen können... Diese Daten können Informationen bezüglich der Fahrweise des Fahrers umfassen”.
Versicherungen sind auch schon hellhörig
Soviele Informationen machen auch Versicherungsmanager sinnlich. Die Branche untersucht, ob sie „Pay As You Drive”-Tarife einführen könnte. Im Klartext: Ein elektronisch kontrolliertes Tarifsystem, das sich nach dem Fahrstil des Versicherten richtet.
Technisch ist die Kontrolle über eine so genannte Telematik-Box machbar. Das ist ein Gerät, das laufend Informationen via Satellit in ein Rechenzentrum zu Protokoll gibt: Darüber, wo, wann und wie der Versicherte gerade fährt.
Das Bundesinnenministerium bestätigte jetzt auf eine FDP-Anfrage im Bundestag, es gebe „vereinzelte Pilotprojekte” mit der neuen Tarifgestaltung. „Soweit der Bundesregierung bekannt ist, basieren diese Versuche auf einer Vereinbarung der jeweiligen Versicherung und dem Versicherungsnehmer. In dieser Vereinbarung wird auch der Umgang mit den Daten privatrechtlich geregelt”. Gesetzliche Regelungen seien nicht geplant.
Experten glauben aber, das sich das System für die Versicherer ohnehin nicht rechnen wird. Und außerdem: Im Ernstfall, nach einem Unfall, wird der Fahrer wohl auf einen Knopf drücken und die Daten löschen können. Denn deutsches Recht ist: Niemand muss sich selbst belasten.