Essen. Wenn Burka auf Bikini trifft: Berlin debattiert über den Burkini, das Ruhrgebiet schweigt und schwimmt. Damit die Integration nicht baden gehe, üben sich die Bäder ja längst in Toleranz – die meisten jedenfalls

Was ist „angemessen”? Eine Frage, die man philosophisch verstehen kann, theoretisch, im Kontext von Zeit und Kultur – oder eben praktisch. So wie Otto Kallies vom Duisburger Sportamt, der das Wort Burkini noch nie gehört hat und sich doch bestens auskennt mit muslimischen Schwimmanzügen: „In den 90er-Jahren, da hatte mal eine Schülerin in einem türkischen Geschäft einen Sportanzug gekauft”, erinnert er sich. Ulkig sah der aus. Die Schwimmeister waren unsicher, Kallies aber entschied: Klar darf „das Mädel” schwimmen damit im städtischen Bad. „Und heute heißt das also Burkini?”

Otto Kallies dient dieser Geschichte als die knödelige, unkomplizierte Stimme des Reviers. Wollen Sie die anderen wirklich noch hören?

Nicht angemessen

In Duisburg beschwerten sich unlängst muslimische Frauen: weil ein Sechsjähriger seine Mama in die Damendusche begleiten wollte. Er wusch sich schließlich allein unter Männern – und unter Geheul. In Heiligenhaus musste eine verhüllte Muslima im vergangenen Sommer das Freibad verlassen – Badegäste hatten sich beschwert. Ebenso protestierten Patienten im vergangenen Winter im schicken Gelsenkirchener Rehazentrum Medicos Auf Schalke: Hier seien Musliminnen in „nicht angemessener Kleidung” ins Becken gestiegen.

Geht die Integration baden?

Burkini-Test in Berlin

Den ersten „Burkini” (Kofferwort aus Burka und Bikini) entwarf die libanesische Designerin Aheda Zanetti in Australien als eine Art Sportanzug mit integrierter Haube, der ganz aus Kunstfasern gefertigt ist: zieht nicht runter, klebt nicht am Körper – auch nicht, wenn frau dem Becken entsteigt.

Rund 3000 Burkinis verkaufe sie im Monat, so Zanetti. Ihre Modelle bedienen jeden Grad der Frömmigkeit, von weit geschnitten bis sportlich-eng.

Seit Dezember testet Berlin den Burkini: Sportsenator Körting und die Berliner Bäder erlauben den Anzug – zunächst allerdings nur zu den Frauenschwimm-Zeiten. Dass das Badepersonal kontrollieren soll, ob darunter nicht etwa Unterwäsche getragen wird (unhygienisch!) hat in Internet-Blogs für Erheiterung gesorgt.

In der Türkei übrigens ist der Burkini an vielen Stränden verboten. Die moderne Elite des Landes fühlt sich gestört durch den Anblick.

Der Integrationsbeauftragte des Landes NRW, Thomas Kufen, taucht ab aber bei dieser Frage: „Zum Thema Bademode äußert sich die Landesregierung nicht. Das liegt in der Verantwortung der örtlichen Politik und der Bäder.” Die Städte entscheiden darüber in ihren Badeverordnung.

Um Nachsicht bitten

Und schwimmen eben doch, meistens, mit dem Strom. In Duisburg, Essen, Bochum, Gelsenkirchen dürften Frauen im Burkini in die städtischen Bäder – wenn sie denn kämen. Auch im privaten Maritimo-Bad in Oer-Erkenschwick wären sie willkommen, betont Geschäftsführer Ibrahim Özcan. Und wenn Gäste sich gestört fühlten? „Wir leben im 21. Jahrhundert, wir sind tolerante Menschen – da würde ich um Nachsicht bitten.”

Was ist angemessen? Antwort eins: „Eine lange Hose und ein langes T-Shirt, fusselfrei und nicht im Alltag getragen” – so lautet der Spagat zwischen Therapie-Alltag und Spitzensportler-Exklusivität im Gelsenkirchener Medicos. „Es ist normal, dass wir in der Reha ausländische Patienten haben”, sagt Medicos-Pressesprecher Hans Oehl: Die Kursleiter müssten die Bad-Etikette „im konstruktiven Gespräch” durchsetzen.

Wasserdichte Lösung

Was ist angemessen? Antwort zwei: „Badeanzug oder Bikini”, sagt Holger Brembeck, Bäderchef in Heiligenhaus. Und Punkt. Doch halt: Bis April laufe nun im Heljensbad ein Pilotprojekt, an zwei Sonntagabenden im Monat sind Frauen hier unter sich. Mit im Boot ist die Awo. Eine wasserdichte Lösung. Abgeschaut von Bädern in Essen, Duisburg, Bochum, die Frauenschwimm-Zeiten anbieten.

Schlafanzüge und Kleider

Allein unter Frauen sind auch die weit über 100 Mitglieder im Schwimmverein Muslimische Frauen Herne, die sich seit 1996 im Solbad Wanne-Eickel treffen. Samstags von acht bis zehn Uhr, sagt Vorsitzende Aslan Nevin – „viel zu wenig Zeit!” 60-Jährige haben schon den Sprung ins warme Wasser gewagt bei ihr, und, sie redet sich in Fahrt: Lebensrettend könne es sein, schwimmen zu können – „wenn meine Kinder ins Wasser fielen!” Mehrfach hat Nevin vorgesprochen beim Sport- und Bäderamt, allein, die Zeiten sind halt so und knapp bemessen für alle Vereine. Ob sie nicht doch unter Männern schwimmen würden, verhüllt vielleicht? Aslan Nevin lacht: „Das ist einfach unbequem.”

Und womöglich sogar gefährlich, gibt Monika Schmidt zu bedenken, Pressesprecherin im Gelsenkirchener Sportparadies: „Kleidung, die sich mit Wasser vollsaugt, wird sehr schwer.” Burkinis seien erlaubt, weil sie leichter seien. „Schlafanzüge nicht.”

Schlafanzüge? Auch in Rheinhausen teilt man ja das Problem: Dass manche Frau auf die Frage, was angemessen sei, ihre ganz eigene Antwort findet. „Unterwäsche, Kleider, Jogginganzüge”, zählt eine Schwimmeisterin auf, hätten schon beim Frauenschwimmen am Donnerstag ins Wasser gewollt – und nicht gedurft. Das sieht auch Otto Kallies so. Ein Problem? „Die Frauen wollen doch auch schwimmen! Was soll man machen?”

Vielleicht ein eigenes Bad bauen. „Wäre doch schön, wenn es eins gäbe für muslimische Bürger – als Marktlücke würde sich das für einen Investor sicher lohnen”, meint Ibrahim Özcan, der Bäderchef in Oer-Erkenschwick. Auch er ist schon gefragt worden, ob er nicht Frauenschwimm-Zeiten einrichten könne. Doch der gläubige Moslem in ihm verlor gegen den Geschäftsmann Özcan: „Wir sind ja ein Privatbad. Das rechnet sich nicht.”

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