Haltern. Ein Phantombild zeigt, wie der Verlierer der Varusschlacht ausgesehen haben könnte. Überhaupt schwankt sein Bild in der Geschichte. Für Historiker ist das sehr mühsam: Die Quellen sind äußerst dünn, und ihre Verlässlichkeit steht in Frage.

Es gibt auf der Welt 16 Münzen aus der Lebzeit des Publius Quinctilius Varus, die sein Profil zeigen. Darauf erkennt man jemanden, der gut im Futter steht, erkennt einen kappenartigen Haaransatz sowie Nase und Adamsapfel. Beide stehen auffällig weit vor und sind weit entfernt von jeder Idealisierung, was als Beweis gilt, dass dies tatsächlich individuelle Gesichtszüge sind.

Nach den Münzen haben Techniker des Landeskriminalamtes in den letzten Monaten ein Phantombild entwickelt, das zeigt, wie Varus ausgesehen haben könnte. Varus hat plötzlich ein Gesicht, er, einer der ganz großen Verlierer der Geschichte. Er sieht ja ganz normal aus!

Auf verblüffende Weise ähnelt der Vorgang dem mühsamen Versuch der Historiker, sich ein Bild von Varus zu machen: Auch da sind die Quellen äußerst dünn, und ihre Verlässlichkeit steht in Frage.

Römische Geschichtsschreiber haben nämlich an dem Mann kein gutes Haar gelassen, als alles vorbei war: Ihnen ist er ein geldgieriger Versager, an Körper und Geist verfettet, ein unsympathischer Nichtskönner, Punkt.

Rom vertraute Varus nur die wichtigsten Ämter an

Das Problem ist: Das kann nicht stimmen. Denn Rom vertraute Varus nur die wichtigsten Ämter an, und das in einer Zeit, als sich gegen Roms Herrschaft ständig irgendwelche Barbaren erheben. „Für Augustus ist Varus so etwas wie ein Mann für besonders schwierige Fälle”, sagt Rudolf Aßkamp, der Leiter des Römermuseums in Haltern.

Tatsächlich macht Publius Quinctilius Varus keine tadellose, sondern eine glanzvolle Karriere. Geboren etwa 47 vor Christus in Cremona in eine hohe Familie, bereist er schon um 20 herum im Gefolge von Kaiser Augustus Kleinasien und ist so etwas wie der Finanzberater. 15 befehligt er siegreich eine Legion im Alpenfeldzug, 13 ist er Konsul, mehr kann man nicht werden im politischen Rom, wenn man nicht der Kaiser ist.

Danach sieht man Varus als Statthalter der wichtigen Provinz Africa, anschließend als Statthalter der noch wichtigeren Provinz Syria (wo er erfolgreich den aus anderen Zusammenhängen bekannten Satellitenkönig Herodes unterstützt gegen jüdische Aufstände). Privat gehört er da zur kaiserlichen Familie, ist verheiratet mit einer Großnichte Augustus'.

Und dann gibt man Varus Germanien. Mit der schwierigste Job, der zu haben ist im Jahre 7 nach. Germanien ist auf dem Weg, eine römische Provinz zu werden, aber Germanien ist noch nicht befriedet. Vom Rhein aus führt Varus seine Legionen jedes Jahr kreuz und quer bis zur Weser; eine der Stationen ist Haltern, wo ein festes römisches Lager steht, ja langsam schon Stadt wird.

Auf diesen Zügen muss Varus keine Kämpfe führen, er spricht Recht, er erhebt Steuern; er sei dabei zu schnell, zu radikal vorgegangen, schreiben römische Historiker später, als alles vorbei war.

Es kommen dann jene drei Tage im Herbst des Jahres 9. Varus führt auf dem Rückweg zum sicheren Rhein drei Legionen in einen germanischen Hinterhalt, den der Cheruskerfürst Arminius gelegt hat, wahrscheinlich bei Kalkriese im Raum Osnabrück. Die 17., die 18. und die 19. Legion gehen hier unter, es ist eine der schwersten Niederlagen, die Rom bis hierhin erlitten hat. Sie führt dazu, dass Rom wenige Jahre später ganz auf Germanien verzichtet.

Zum Abschluss gibt es noch ein schönes Stück Propaganda für die Heimatfront zu sehen: Wie Kaiser Tiberius im Jahr 17 einen Triumphzug in Rom anordnet wegen des Sieges über die Germanen – während er in Wahrheit jeden Feldzug dort oben längst untersagt hat.

Das ist also die Lösung des Rätsels: Einer muss der Sündenbock sein. Auf Varus wird alles geladen. Er selbst hat sich umgebracht, als die Niederlage feststand. Der Sieger Arminius schickt Varus' Kopf an den Markomannen-König Marbod in Böhmen, was als besonders rustikales Bündnisangebot gegen Rom zu verstehen ist.

Marbod aber schickt den Kopf nach Rom. Dort wird er in Ehren bestattet. Die Rufmörder kamen erst später.

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