Essen/Melbourne. Ein todkrankes Mädchen in Melbourne überlebte dank eines neuen Wirkstoffs, der bislang nur an Mäusen getestet worden war. Die Rettung kam aus Deutschland, aus dem Labor des Biochemikers Günter Schwarz.

Baby Z. war todkrank. Foto: afp
Baby Z. war todkrank. Foto: afp © AFP

Baby Z. blieb nicht viel Zeit. Das Mädchen aus Melbourne leidet an einer seltenen Erbkrankheit, die das Gehirn in wenigen Wochen zerstört. Doch Baby Z. wächst und gedeiht, fängt mit seinen 18 Monaten sogar schon an zu sprechen. „Ein absolutes Wunder”, sagt die Mutter. Doch die Rettung kam nicht von oben, sie kam aus Deutschland: Der Kölner Biochemiker Prof. Günter Schwarz schickte seinen neuen Wirkstoff, der noch nie am Menschen getestet wurde, nach Australien. Und schon nach wenigen Tagen war Baby Z. wieder fit.

Nur 60 Stunden nach der Geburt hatte das Neugeborene die ersten Krämpfe bekommen. Die Diagnose stand schnell fest: Eine Molybdän-Cofaktor-Defizienz, die zu giftigen Sulfit-Ablagerungen im Gehirn führt. Solchen Kindern bleiben meist nur Monate. „Ihr Gehirn verkümmert, sie werden zur lebenden Hülle”, erklärt Schwarz.

Die Eltern von Baby Z. machten sich schlau, fanden im Netz 'zig Veröffentlichungen zu dem Thema. Alle mit dem gleichen Fazit: Die Krankheit ist nicht behandelbar. Hoffnung machte ihnen allein die Ergebnisse aus Köln. An Mäusen hatte Günter Schwarz eine neue Therapie getestet, der die fehlenden Substanz im Hirn ersetzt – mit Erfolg. Die Familie wandte sich an ihren behandelnden Kinderarzt Alex Veldmann – ein Deutscher, der damals erst seit einem Jahr in Melbourne arbeitete – und der stellte den Kontakt nach Köln her.

Der Ethik-Kommission war der Fall zu heiß

Eine seltene Krankheit

Drei Enzyme braucht das Hirm um Schwefel abzubauen.

Bei der Molybdän-Cofaktor-Defizienz ist der Organismus nicht in der Lage, das dafür benötigte Molekül herzustellen. Die Krankheit kommt sehr selten vor, etwa ein bis fünf Kinder werden pro Jahr in Deutschland mit dem Defekt geboren.

Dann ging alles ganz schnell und überraschend unbürokratisch. Schwarz schickte sein Medikament, den gesamten Vorrat, nach Australien. Per Telefon wurde ein Behandlungsplan ausgetüftelt, die Dosis von Mäusen auf Menschen hochgerechnet. Doch der Ethik-Kommission der Klinik war der Fall zu heiß, sie gab den Fall an den Obersten Gerichtshof weiter. „Quasi über Nacht stellten drei Anwälte die Akten zusammen, ein Staatsanwalt wurde extra eingeflogen”, erzählt Schwarz. Und schon nach 48 Stunden gab es eine Entscheidung: Das Medikament darf gegeben werden. Einen „individuellen Heilversuch” nennen das die Juristen: eine letzte Chance, die dann erlaubt ist wenn die Alternative der sichere Tod ist.

Veldmann und Schwarz, der inzwischen auch nach Melbourne gereist war, injizierten Baby Z. vorsichtig erst wenig, dann immer mehr der Substanz – dann hieß es warten. „Doch schon am nächsten Tag waren die bedrohlichen Sulfit-Werte im Urin deutlich gesunken”, so Schwarz.

Auch in Deutschland wird ein Kind behandelt

Inzwischen ist Baby Z. nicht mehr die einzige Patientin. Auch in Deutschland wird ein Kind mit dem Medikament aus Köln behandelt – ebenfalls mit großem Erfolg, wie es heißt. Zwar werden die Kinder den Wirkstoff ihr Leben lang nehmen müssen. „Doch bislang gibt es keinerlei Nebenwirkungen”, so Schwarz. Der 39-Jährige will nun daran forschen, das Medikament auch als Tablette anbieten zu können. In den USA soll schon bald eine weltweite Studie starten, um die praktischen Ergebnisse auf wissenschaftlich gesicherte Füße zu stellen.

Doch im Moment ist an Forschung nicht zu denken: In Schwarz' Institut in Köln steht das Telefon seit der Pressekonferenz am Donnerstag in Melbourne nicht still. Zeitungen, Rundfunk – alle wollen ihn sprechen. Dabei hatten die Forscher lange vergeblich versucht, ihre sensationellen Ergebnisse zu veröffentlichen. Was die Fachblätter nicht wollten, fanden die australischen Journalisten ausgesprochen spannend: Sie stießen in der Jahresbilanz des Gerichtshofs auf das ungewöhnliche Urteil – und fragten bei der Klinik nach.