Mülheim. Das Theater an der Ruhr Mülheim präsentiert im Raffelbergpark mit sechs Inszenierungen an drei Abenden die aktuelle „Theaterlandschaft Iran”
Vor zehn Jahren, im September 1998, durfte erstmals seit der Islamischen Revolution 1979 ein iranisches Theaterin Deutschland gastieren, in Mülheim: Beginn einer kontinuierlichen Zusammenarbeit zwischen dem Theater an der Ruhr und dem Dramatic Arts Centre in Teheran.
Jahr für Jahr kamen seither iranische Ensembles nach Mülheim, fünf Mal stellte das Theater an der Ruhr seine Inszenierungen beim Fadjr-Festival in Teheran vor. Von Mittwoch bis Sonntag wird nun im Raffelbergpark ein neuer Blick auf die „Theaterlandschaft Iran” freigegeben. Sechs Gruppen hat Roberto Ciulli ins Ruhrgebiet geladen – junge, mutige Gruppen, meint der Mülheimer Theaterchef, die es in ihrer Heimat generell schwer haben, sich gegen die gestandenen traditionellen Ensembles durchzusetzen.
Denn es gibt in der Islamischen Republik keine Theaterstrukturen. Alles läuft nach dem gleichen Schema ab: Ein paar Leute gründen eine Gruppe, proben auf eigenes Risiko und ohne finanzielle Absicherung ein „nicht politisches Stück”; ein Zensor nimmt die Arbeit ab (oder auch nicht), dann erst befindet das Kulturministerium über die Subventionswürdigkeit.
Hat sich der Kontrolldruck in den vergangenen zehn Jahren verringert? Im Gegenteil, meint Roberto Ciulli, der wiederholt in Teheran mit iranischen Darstellern inszeniert hat (seine „Bernarda Alba” wurde bis nach Schweden eingeladen, sein „Danton” war in Mülheim ausschließlich in der „Teheraner Fassung” zu sehen). „Wir haben unsere Kontakte während des großen Aufbruchs unter Chatami geknüpft; unter Ahmadinedschad ist alles schlechter geworden. Nicht für uns, aber für das iranische Theater.”
Wobei, das hat er selbst etwa bei „Danton” erlebt, sich die Zensur oft selbst ad absurdum führt. Wenn vor allem auf Formales (z. B. Kopfbedeckung für Darstellerinnen) geachtet wird. „Dabei kommt es doch auf die Inhalte an.” Andererseits muss der Europäer vielleicht seine Vorstellung von Zensur etwas überdenken. Iranischen Zensoren sind selbst Regisseure, die ein Stück, eine Inszenierung deuten, interpretieren, „übersetzen”. Roberto Ciulli schmunzelt beim Gedanken an die „orientalische Dialektik”, die da zum Tragen kommt. Es sei jedenfalls ganz erstaunlich, meint er, welche politischen Signale von unpolitischen Stücken ausgingen.
Im Stück „Mister Leila” etwa, das die Bahman Theatre Group am 5. September zeigt, geht es um das wachsende Problem der Emigration. Eine junge Frau will nach Australien auswandern, weil sie in ihrer Heimat keine Zukunft für sich sieht; an ihrem Entschluss droht die (traditionelle) Familie zu zerbrechen.
In „Sacrificed” (3. 9.) des Ensembles Mani wiederum entsinnt sich ein muslimischer Schächter seiner kindlichen Tierliebe und seines Mitleids für die Schafe; in dem Dialog, der sich zwischen Kind und Opfertier, zwischen Kind und Vater entspinnt, geht es um die Sinnfragen hinter dem in der ganzen islamischen Welt feierlich begangenen Opferfest.
Und in „Cadence” der Tajrobeh Theatre Group töten sich drei Männer gegenseitig aus Hass und religiösem Eifer, nur um in der nächsten Welt erneut aufeinanderzutreffen und sich nun mit den jeweiligen Weltanschauungen auseinandersetzen zu müssen.
Für Roberto Ciulli zeigt die diesjährige Auswahl, „welche disparaten Theatersprachen es in Iran gibt”, welche Widersprüche zwischen traditionellem, realistischen und avantgardistischem Theater, und wie diese Widersprüche aufgelöst werden. „Die Aufführungen sagen ganz viel über das Land”, meint er; deshalb auch „Theaterlandschaft”.
So nennt Ciulli seine Projektreihen seit 1983. Nicht: Festival. „Ich habe den Eindruck, dass Festival immer mehr gleichbedeutend ist mit feste feiern. Die Inhalte verschwinden; die Feiern haben die Kulturarbeit gefressen, alles wird nur Event. Ernsthafte Kulturarbeit ist die Grundnahrung für kommende Generationen. Zwischen lauter Höhepunkten bleiben aber nur Löcher – und was ist mit denen?”
Von der Theaterlandschaft Iran kommt Ciulli zur Theaterlandschaft Ruhrgebiet. Dass die einmal für die Theater wichtigste Zeit, der Saison eröffnende September, durch die Terminierung der Ruhr Triennale weggebrochen ist, dass kein Haus es wagt, eine Premiere anzusetzen, dass Bochums Haus geschlossen bleibt – das ist für Roberto Ciulli das Gegenteil von verantwortungsvoller Kulturarbeit.
Das Programm
Wegen der Kürze der Inszenierungen (max. 60 Minuten) stehen im Raffelbergpark täglich zwei Aufführungen an.Mittwoch (3. 9.): „Terminal” (20 Uhr; „Sacrificed”, 21.30. Donnerstag (4. 9.): „Hassan and the Ghoul” , 19.30 Uhr; „Cadence”, 21 Uhr. Freitag (5. 9.): Mister Leila, 19.30 Uhr; Pinocchio, 21 Uhr.Karten: einzeln 14 € (ermäßigt 6), für den Doppel-Abend 20 (10) €. Tel. 0208-5990188