Teheran. Das erste deutsche Ensemble, das nach der Islamischen Revolution im Iran gastierte, kam aus Mülheim. Seither pflegt das Theater an der Ruhr den Austausch und lädt jährlich Stücke zum Festival „Theaterlandschaft Seidenstraße” ein. Ein Bericht aus einem sehr fernen Land.

Warum tust du das? wurde ich gefragt, als ich sagte, ich würde nach Teheran reisen; tagelang würde ich Theater sehen und dabei kein Wort verstehen. Warum tust du das? wurde ich noch einmal sehr nachdrücklich gefragt, als ich sagte, ich müsse schon beim Aussteigen, vor dem Betreten des Imam Khomeini-Airport, ein Kopftuch umbinden.

Ich versuchte, mich locker zu geben. „Ich glaube, sie steinigen noch”, sagte ich und wusste ganz gut, dass dies mehr war als eine Vermutung. Zwar drohen Frauen, die ihre Haare nicht verhüllen, nur eindringliche Gespräche mit der Sittenpolizei, aber ich war nicht geneigt, irgendetwas zu provozieren.

„Theater und Politik muss man trennen in diesem Land”

Die andere Frage war noch schwieriger. Ein Festival, nicht direkt am Ende der Welt, aber auf dem besten Weg dorthin: Das muss dem Reisenden schon etwas Besonderes sein. „Warum tun Sie das?” fragte ich Roberto Ciulli, der mit seinem Theater an der Ruhr vor zehn Jahren das erste deutsche Gastspiel beim Fadjr-Festival gab und die Theaterfreundschaft pflegt, obwohl es im Iran eine Zensur gibt; der Stücke nach Mülheim einlädt und selbst „Bernarda Albas Haus” mit iranischen Schauspielerinnen inszenierte.

Warum tun Sie das? Ciulli lächelt. Er kennt die Frage zu gut, seine Antwort klingt wie poliert. „Wenn ich die Möglichkeit nutze, Menschen mit der Sprache des Theaters zu erreichen, komme ich nicht in Konflikt mit den Verboten, die in der Verfassung verankert sind.” Ist damit wirklich alles gesagt? Ciulli lächelt wieder. Tiefgründig. Theater und Politik müsse man trennen in diesem Land, sagt er.

Fadjr wurde vor 27 Jahren gegründet, der Name bedeutet „Morgenröte”. Der Aufbruch entwickelte sich anders als gedacht: aus einem Kinder- und Marionettentheater wurde ein modernes Festival, das sich feiner Zwischentöne bedient.

„Haben Sie bemerkt”, fragt Ciulli nach einem Konversationsstück, das mir wenig ambitioniert schien, „wie sie stumm den Mund bewegen? Sie haben ,Sex' gesagt, ohne es auszusprechen. Das wäre verboten.” Ich habe es nicht bemerkt, ich bin Neuling auf dem Gebiet subversiver Theatercodes und immer noch nachhaltig erbittert, dass auch die Schauspielerinnen Kopftücher tragen. Maria Neumann hat als „Kaspar” ihr Haar bedecken müssen. Undenkbar.

Es gibt keine subventionierten Theater im Iran, nur Gruppen, die alle auf Fadjr hinleben. Es ist ihre einzige Chance. In diesem Jahr wurden fast 140 Stücke eingeladen, die meisten kommen aus Iran, eins aus Polen, zwei aus Kanada. Mülheim sollte mit zwei Inszenierungen anreisen, aber das Kulturministerium besann sich anders: Fünf Tage Hotel für das 40-köpfige Ensemble, das wäre teuer geworden. Sie haben dann das Schauspiel Frankfurt eingeladen, mit einem Ein-Personen-Stück. Ciulli ist mit einer Delegation angereist, um Stücke einzuladen.

Die Festivalbeiträge sind bunt wie alles Theater überall auf der Welt. Manchmal hintergründig witzig, manchmal ergreifend, manchmal schräger als jedes europäische Regietheater. Sieben Menschen warten auf die U-Bahn, aber sie fährt immer durch. Ein Junge stirbt und die Familie kann nicht loslassen. Alte Männer zeigen Säbeltänze, einer spielt herzzerreißend Blockflöte. In einem Stück sagt eine Frau: „He's a genious asshole”, da muss der Zensor geschlafen haben; wie auch bei dem wunderbar albernen, großartig antimilitärischen Stück vom Soldaten im allerletzten Krieg, der vaterseelenallein den Fortbestand der Menschheit sichert. Immer wieder spürt man, dass die Menschen hier dieselben Träume und Albträume haben wie wir, das schafft jäh Nähe; auch wenn eine Frau im Tschador neben einem sitzt.

Warum? ist die beste Frage, die man im Theater stellen kann

Und die Sprache? Ist farsi. Aber das ist nicht langweilig und noch nicht mal merkwürdig; das Hören wird zum weltfernen Rauschen, träumerisch leicht. Und man versteht doch! Theater in einer fremden Sprache hat leere Stellen, die sind zu füllen; und wer fragt: Warum tun sie das? ist schon auf dem richtigen Weg. Warum? ist immer die beste Frage, die man im Theater stellen kann, gerade weil man oft keine Antwort bekommt. Man muss sie selbst finden.

Am Ende des Festivals wählt eine Jury Stücke aus, die 30 Mal aufgeführt werden dürfen, dann verschwinden sie wieder, wie alle anderen. Ein ganzes Jahr Arbeit, und vorbei – warum tun sie das, die Künstler, die spielen, als ginge es ums Leben? Weil es ums Leben geht, weil Theater das Leben verändert. Kunst ist eine Kraft, an der Despoten scheitern.

„Gegen den Krieg”

In der Universität hat Ciulli sein Buch vorgestellt, „Über Improvisation: Neun Gespräche mit Roberto Ciulli” auf farsi. Die Studenten drängen sich, er sagt: „Theater ist ein Angebot, die Kreativität in jedem von uns in Gang zu bringen”. Er spricht von der „Schachnovelle”, sagt: „Stefan Zweig war ein großer Pazifist . . .” Da stockt der Dolmetscher. „Gegen den Krieg”, sagt Ciulli. Doch, es gibt ein Wort für „Pazifist”; aber es ist derzeit wenig gebräuchlich.

Was finden Sie im Iran, Herr Ciulli?

„Man muss klug sein”, sagt der Theatermann

Warum machen Sie Theater im Iran, trotz der Zensur?

Ciulli: Ich würde auch nach Nordkorea gehen. Kunst trifft nicht nur die Köpfe, sondern auch die Herzen, und sie ist eine wunderbare Möglichkeit, mit Leuten in einen Dialog zu treten, mit denen ein Austausch sonst kaum möglich ist.

Warum fürchtet das Regime im Iran das Theater?

Ciulli: Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Mullahs, ich habe stundenlang versucht, sie zu überzeugen, dass das Theater nicht gegen die Religion gerichtet ist. Aber sie fragten wie Großinquisitoren: Was willst du? Du willst aufklären! Also bist du gegen die Religion!

Warum kann Fadjr dann überhaupt stattfinden?

Ciulli: Dieses Land ist süchtig nach Theater. Und das Theater ist ein Fenster nach draußen, nach Westen wie nach Osten. Vergessen wir nicht, dass Iran eine der reichsten Kulturnationen der Welt ist.

Was hat Ihr Theater von den Reisen nach Teheran?

Ciulli: Es wird da anders rezipiert. Die Iraner deuten alles, was sie auf der Bühne sehen, politisch. Dadurch ist die politische Wirkung des Theaters größer als bei uns. Es kann dort gefährlich sein, wenn Sie nicht abwägen, welche Freunde Sie haben, welche Zeitung Sie lesen. Aber wir müssen vorsichtig sein. Wenn wir das Theater als politische Bühne verteidigen, gefährden wir es. Man muss klug sein, auf iranische Weise.