Washington. Dass Barack Obama in den Wahlumfragen führt, heißt nicht, dass auch die alten Ressentiments verschwunden wären. Etliche werden ihr Kreuzchen nach Hautfarbe machen. Auch Rachel, die rassistische Kellnerin, hatte das vor. Bis...
„Wenn Sie wollen, können Sie mich ruhig eine Rassistin nennen”, sagt die junge Frau, fischt das Kaugummi mit der Zungenspitze aus der Backentasche und sagt, „jedenfalls wähle ich keinen Schwarzen, ganz einfach. Obama gehört zu den Schwarzen und nicht zu uns.”
Die Frau heißt Tina Graham. Nein, der Name ist nicht von der Redaktion geändert worden, sie heißt wirklich so. Sie wohnt in West-Virginia, man könnte jetzt mühelos ihre Adresse ausfindig machen, sie belehren, sie beschimpfen oder vor Wut über soviel Borniertheit einen Farbbeutel gegen ihr Haus schleudern. Nur würde das gar nichts daran ändern, dass es auch Menschen wie Tina Graham gibt. Menschen, die allein aufgrund der Hautfarbe anderer Vorurteile und Abneigungen pflegen.
Rachel sagt, sie hasse die Schwarzen
Auch Rachel ist selbst erklärte „Rassistin”. Auch ihren Namen haben wir nicht geändert. Sie ist 25, Jüdin aus der unteren Mittelschicht und Kellnerin in einem Restaurant in Washingtons Viertel „Friendship Heights”. Wir kennen uns seit Jahren. Zwischen Kartoffelsuppe und Spiegeleiern reden wir über Gott und die Welt. „Seit ich hier arbeite, hasse ich die Schwarzen”, sagt sie im Flüsterton, „das sind die, die sich am meisten beschweren, am schlechtesten benehmen und am wenigsten Trinkgeld geben.” Ich sage, dass das, wenn es stimmt, nichts mit der Hautfarbe zu tun hat, sondern mit sozialen Erfahrungen, dass hier nun einmal ganz unterschiedliche Gäste sitzen, die weißen Anzugträger in der Mittagspause und Schwarze aus der Unterschicht, die die Oma am Geburtstag zum Essen ausführen. Aber wir sind hier nicht im soziologischen Hauptseminar, sondern im amerikanischen Alltag.
Sind die USA immer noch ein rassistisches Land? Ist Amerika reif für einen schwarzen Präsidenten? In Umfragen führt Obama immer deutlicher, sein Wahlsieg wird wahrscheinlicher, auch wenn Meinungsforscher eigenen Umfragen nicht so recht trauen. Folgt wirklich der erste Schwarze auf 43 weiße US-Präsidenten?
Die Umfragen sind ungenau
„Wir wissen nicht, wie groß die Zahl derer ist, die in der Umfrage für Obama sind und dann in der Anonymität der Wahlkabine anders wählen”, sagt der Meinungsforscher Scott Rasmussen. Nach unterschiedlichen Schätzungen liegt dieser Anteil bei zwei bis fünf Prozent. Für Obamas Sieg könnte es dann immer noch reichen. Am Ende der Vorwahlen allerdings sah man kuriose Wahlergebnisse, die den Umfragen widersprachen. In West-Virginia, dort wo Tina Graham zu Hause ist, bekam Obama in manchen Wahlbezirken nicht einmal zehn Prozent der Stimmen, obwohl Obama gerade damals zum großen Politstar wurde.
Noch einmal: Wieviel Rassismus gibt es in den USA? Es gibt darauf keine einfache Antwort. Alles ist relativ, auch Rassismus. Von der heutigen Gleichberechtigung hätten Schwarze vor 40 Jahren nur träumen können. Andererseits: Der Aufstieg einzelner Schwarzer – Colin Powell, Condi Rice, auf anderer Ebene Tiger Woods – verstellt den Blick dafür, dass das Zusammenleben zwischen Schwarzen und Weißen immer noch voller Misstrauen ist. Dabei ist Rassismus keine Einbahnstraße, sondern eine Art Kreisverkehr, in dem vieles ungeordnet durcheinanderläuft.
Jesse Jackson wollte Obama kastrieren
Da kann dann auch der schwarze Bürgerrechtler Jesse Jackson Obama vorwerfen, er rede „wie ein Weißer” und drohen, ihn zu kastrieren. Da kann dann auch Bill Clinton für sich in Anspruch nehmen, er sei „der erste schwarze Präsident” gewesen, was nicht nur Anmaßung und Koketterie ist, sondern lange Zeit auch von Schwarzen so gesagt wurde, weil man ja nicht an einen echten schwarzen Präsidenten glauben konnte. Später dann wurde Bill Clinton selbst als Rassist beschimpft, weil er aggressiv Wahlkampf gegen Obama machte.
Überhaupt ist die Liste derer, die sich in diesem Wahlkampf dem Vorwurf des Rassismus ausgesetzt sahen, lang. Joe Biden, jetzt Obamas Vize, sagte anfangs über Obama, er sei „der erste schwarze Kandidat, der ordentlich und sauber ist”. Es war, wie es in den Entschuldigungen dann immer floskelhaft heißt, mal wieder „ein Ausrutscher”. Aber warum rutschen so viele aus? Weil die Rutschgefahr im amerikanischen Alltag sehr groß ist.
Jeder ordnet sich einer Rasse zu
Das fängt bei Kleinigkeiten an. Jeder ordnet sich einer Rasse zu, und das ist unvermeidlich. Im Krankenhaus, bei der Polizei, in Behörden, bei Versicherungen und im Schulamt wird man in Gruppen eingeteilt: Afroamerikaner, Asiaten, Latinos, Weiße, Eingeborene. Das hat – etwa im Krankenhaus oder bei der Polizei-Fahndung – sehr gute Gründe. Aber das Problem daran ist: Das Denken in diesen Kategorien geht allen in Fleisch und Blut über.
Etwas anderes kommt hinzu: Schwarze und Weiße leben, dem äußeren Schein zum Trotz, in getrennten Welten. In Schulen und Kirchen ist die Trennung am deutlichsten, in den Wohnviertelen auch, oft auch in bestimmten Branchen. Elektriker sind niemals schwarz, das weiß man mit der Zeit, Politessen in Washington dagegen sind immer schwarz, und als Weißer hat man nie eine Chance, ihre Gnade zu erbetteln, während sie bei Schwarzen ein Auge zudrücken.
Neuigkeiten von Rachel
Tina Graham hat ihre Meinung über Schwarze nicht geändert. Aber von Rachel gibt es auf den letzten Drücker noch etwas Neues zu berichten: Sie ist frisch verliebt, in einen Schwarzen. Er heißt Neil und ist Kellner im gleichen Restaurant. Die Kollegen dürfen es nicht wissen, auch ihren Eltern hat sie es noch nichts gesagt. Aber auch über Obama denkt Rachel jetzt anders, sie hat von Neil seine Autobiographie geschenkt bekommen und sogar gelesen. Jetzt will auch sie Obama wählen. Die Liebe, scheint es, bricht den harten Stein.