Ab Montag pokern die Staaten der Welt um ein neues Klimaschutzabkommen. Die Wissenschaft mahnt, die Erwärmung der Erde auf zwei Grad zu beschränken, um die schlimmsten Folgen in Grenzen zu halten. Wo liegen die Stellschrauben, an denen der Mensch dreht?

Klimaänderungen hat es in der Geschichte der Erde immer wieder gegeben. Grönland war einmal grün. Und dennoch wird nun auf der UN-Klima-konferenz in Kopenhagen über ein neues globales Klimaschutzabkommen verhandelt, das die Welt, wie wir sie kennen, binnen weniger Jahrzehnte umkrempeln könnte: Eine Gesellschaft soll, soweit möglich, kohlenstofffrei werden. Warum eigentlich?

Als Grundlage politischen Handelns gelten die Sachstandsberichte des Weltklimarates IPCC. Sie bilden die wissenschaftliche Mehrheitsposition ab. In die Berichte dürfen nur Erkenntnisse aufgenommen werden, die in Fachzeitschriften publiziert und zuvor einer Überprüfung durch andere Wissenschaftler unterworfen worden sind. 2007 erschien der vierte und bislang letzte IPCC-Bericht. Die Kernaussagen: Die Erwärmung der Erde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann nicht allein durch natürliche Faktoren wie etwa das „Schwächeln” der Sonne erklärt werden. Mit 90- bis 99-prozentiger Sicherheit ist es der Mensch, der an den Stellschrauben des Klimas dreht.

Über die Deutung der wissenschaftlichen Erkenntnisse wird weiter gestritten, auf verschiedenen Schlachtfeldern: „Klimaskeptiker” bezweifeln, dass menschliches Handeln die wesentliche Antriebsfeder der Klimaveränderungen ist. Seit zehn Jahre stagniere die Erwärmung. Auch glauben sie, dass Anpassung an die Klimaveränderungen die bessere Option sei, die Kohlendioxid-Vermeidung die schlechtere, weil sie Wirtschaft und Wachstum gefährde.

Der Großteil der Klimaforscher aber hat den menschengemachten Klimawandel akzeptiert. Diskutiert wird darüber, welches genaue Ausmaß die Klimaänderungen haben werden und welche Konsequenzen die einzelnen Regionen erwarten müssen.

In Kopenhagen wird nun über ein neues Abkommen verhandelt. Es soll das Ende 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll ablösen. Die Wissenschaft hat der Politik eine Handlungsempfehlung auf den Weg gegeben: das Zwei-Grad-Ziel. Es bedeutet, dass die Erwärmung der Erde – seit 1900 ist die Durchschnittstemperatur um 0,8 Grad gestiegen – auf zwei Grad begrenzt werden soll. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderung” begründet das Ziel so: Eine Erwärmung um mehr als zwei Grad würde die Zivilisation vor „beispiellose Herausforderungen” stellen und bedeute eine „gefährliche Störung des Klimasystems”. Was heißt das?

Vor knapp zwei Jahren warnte ein Forscherteam, darunter auch Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, vor möglichen „Tipping Points”, den Kippelementen im Klimasystem. Würden sie aktiviert, nehme der Klimawandel unumkehrbar Fahrt auf. Es sei ein Gefühl falscher Sicherheit, so schrieben die Forscher in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“, dass der Klimawandel langsam verlaufe. Als kritische Grenze gilt nun: zwei Grad.

Über ein Dutzend Kippelemente benannten die Forscher. Die wichtigsten:

1. Arktis: Das Schmelzen des Meereises und des grönländischen Eisschildes

Schwindet das Eis in der Arktis, wird die dunklere Meeresoberfläche frei. Sie absorbiert mehr Wärmestrahlung und verstärkt dadurch die Erwärmung. Eine Nasa-Studie, die sich auf Daten des Satelliten „Icesat” stützt, kommt zu dem Ergebnis: Von 2004 bis 2008 sei die von Alteis bedeckte Fläche um 42 Prozent zurückgegangen. Alteis ist das Eis, das einen oder mehrere Sommer „überlebt” hat.

Gleiches gilt für den grönländischen Eisschild. Schmilzt er, steigt der Meeresspiegel. Nach Berechnungen eines Forscherteam unter Leitung des niederländischen Meteorologen Michiel van den Broeke von der Universität Utrecht hat der Eispanzer zwischen 2000 und 2008 rund 1500 Gigatonnen Gewicht verloren. Das entspricht einer Meeresspiegel-Steigung von 0,75 Millimetern pro Jahr. Diese Zahlen liegen deutlich über den Ergebnissen vieler Berechnungen.

2. Weltmeere: Versiegen des Golfstroms und Versauern der Ozeane

Das warme Oberflächenwasser des Atlantiks ist für das milde Klima in Nordwesteuropa verantwortlich. Dringt durch die Eisschmelze mehr Süßwasser in den Nordatlantik, könnte der Golfstrom abreißen. Die Weltmeere binden zudem Kohlenstoff, durch Plankton und Korallen. Doch offenbar nimmt die Speicherkapazität ab: Forscher der Universität Columbia haben festgestellt, dass sich die Aufnahmefähigkeit der Weltmeere seit dem Jahr 2000 um zehn Prozent verringert hat.

3. Südamerika: Zerstörung des Regenwaldes

Ein Großteil der Niederschläge im Amazonasbecken ist Wasser, das über dem Wald verdunstet. Nehmen die Niederschläge in einem wärmeren Klima ab und geht zudem die Abholzung weiter, könnte der Regenwald an eine kritische Grenze gelangen.

4. Afrika: Verlagerung des Monsuns

Steigen die Temperaturen im Atlantischen Ozean und werden die Küstenwälder Westafrikas weiter gerodet, könnte das nach Ansicht von Forschern zu einem Zusammenbruch des Monsuns führen. Die Folge seien Dürrejahre in der Sahelzone, Hunger und Flüchtlingsströme.

5. Himalaja: Abschmelzen der Gletscher

Wie beim arktischen Meer würden dunklere Gesteinsschichten frei, die mehr Wärme speichern. Schmelzen die Gletscher auf dem Tibet-Plateau, hätte das Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung von Milliarden Menschen in Indien und China.

6. Sibirien: Das Auftauen der Permafrostböden

In den Permafrostböden in Russland und Kanada sind gigantische Mengen von Methan gespeichert. Durch das Auftauen könnten die Klimagase freigesetzt werden und den Klimawandel verstärken, was wiederum das Auftauen beschleunigen würde. Schon jetzt sacken in den betroffenen Gebieten Häuser ab.

7. Südpazifik: El Niño

El Niño (das Christkind) ist ein Wetterphänomen, das alle drei bis sieben Jahre zur Erwärmung des südlichen Pazifiks führt. Auch ohne Veränderungen bei El Niño gehen die Klimaforscher davon aus, dass der asiatische Monsun in Zukunft unberechenbarer werden könnte.