Essen. Der Trainer Hennes Weisweiler beschenkte die Fans mit offensiver, temporeicher Spielweise. Am Samstag würde er 90 Jahre alt.

Wer verstehen möchte, wie Hennes Weisweiler tickte, dem kann eines seiner berühmtesten Zitate helfen. Für die meistdiskutierte Fußballregel hatte der Mann eine eigenwillige und einzigartige Interpretation parat: „Abseits ist, wenn dat lange Arschloch mal wieder zu spät abgespielt hat!”

So!

„Dat lange Arschloch” war kein Geringerer als Günter Netzer, der geniale Spielmacher jener Jahre, in denen sich der niederrheinische Emporkömmling Borussia Mönchengladbach zu einem Verein mit bestem Ruf in ganz Europa entwickelte. Hennes Weisweiler, dieser knorrige, kompromisslose Trainer, hatte aus den ungestümen jungen Gladbachern, die nach dem Bundesliga-Aufstieg 1965 „die Fohlen” getauft wurden, ein Team mit perfekt inszenierter Spielkunst geformt. Tempo, Offensive, Ballkunst – Gladbach verwöhnte die Fußball-Liebhaber. Dreimal rauschten die Borussen zum Gewinn der Deutschen Meisterschaft: 1970, 1971 und 1975. Die Titel von '72 bis '74 fuhren die Bayern ein, die damals oft den effektiveren Fußball spielten – den schöneren zelebrierten Weisweilers Gladbacher. Aus der Tiefe des Traumes.

Netzer war der Kapitän der Borussen, er gab dem Spiel die Richtung, er lenkte und dirigierte. Er schnibbelte Freistöße in den Winkel, er schlug Pässe über 60 Meter, die dem Stürmer exakt in den Lauf fielen. Aber: Netzer war auch einer der ersten Popstars des Fußballs. Er fuhr Ferrari, war befreundet mit Künstlern und Showstars, eröffnete in Mönchengladbach eine Diskothek, die er „Lover's Lane” nannte, und seine Mähne wehte eindrucksvoller als die von Mick Jagger.

All das war Hennes Weisweiler höchst suspekt.

Er verstand sich als Fußballlehrer, einen selbstbewussten, unabhängigen, widerspenstigen Denker wie Netzer, der sich auch Freiheiten nahm, respektierte er lediglich, wenn die Leistung stimmte. Partys? Foto-Shootings? Fernsehglamour? Weisweiler trug Trainingsanzug, er wollte nichts anderes als Erfolg. „Zeige mir einen zufriedenen Zweiten, und ich zeige dir einen ewigen Verlierer”, hat er gesagt.

An diesem Samstag wäre Hennes Weisweiler, der 1983 überraschend einem Herzinfarkt erlag, 90 Jahre alt geworden. Und es darf vermutet werden, dass die heutige Fußballwelt nicht mehr seine wäre.

Autoritärer Arbeitsansatz

Aber damals war er nicht der einzige Trainer mit autoritärem Arbeitsansatz. Was ihn von anderen unterschied, war seine enorme fachliche Qualität: Netzer, Vogts, Heynckes, Wimmer, Bonhof kamen als Talente, Weisweiler bildete sie perfekt aus, bis sie mit ihrem Hochgeschwindigkeitsfußball den Gegnern Schwindelanfälle bescherten. „Lieber 4:3 als 1:0”, hieß das Motto, das Bewunderung garantierte.

Manchmal aber stand Hennes Weisweiler die eigene Sturheit im Weg. Wie im Pokalfinale 1973 gegen den 1. FC Köln, als er Günter Netzer vor dessen Wechsel zu Real Ma-drid auf der Bank schmoren ließ. Netzer, der zuerst entrüstet abreisen wollte, wechselte sich zur Verlängerung selbst ein („Ich spiele dann jetzt!”) und schoss das legendäre Siegtor – ein magischer Moment des Fußballs. Dass Weisweiler Netzers Anmaßung trotz des Gesichtsverlustes geschehen ließ, war eine Sensation.

An Cruyff gescheitert

Als Weisweiler 1975 zum FC Barcelona wechselte, wartete dort bereits ein größerer Sturkopf. Der niederländische Weltklassespieler Johan Cruyff gewann den internen Machtkampf: Nach nur zehn Monaten wurde Weisweiler entlassen – es war das erste und blieb das einzige Mal.

Der Trainer kehrte in seine Heimatstadt Köln zurück – und legte sich prompt mit FC-Ikone Wolfgang Overath an. Der Weltmeister zog es vor, seine Karriere 1977 zu beenden. Ein Jahr später wurde Weisweiler auch mit Köln Deutscher Meister – ausgerechnet knapp vor Gladbach.

Als Hennes Weisweiler mit 63 Jahren starb, nahm die Weltelite des Fußballs im Kölner Dom Abschied. „Im Rückblick weiß ich, was ich dem Hennes alles verdanke”, hat Günter Netzer gesagt.