In Bochum gehen die Montagsdemonstrationen ins sechste Jahr. Weil ein engagiertes Grüppchen nicht aufgeben will.

Eigentlich ist es einfacher als erwartet, den Gang der Welt am Husemannplatz in Bochum abzulesen: Benannt ist der Platz nach dem Bergmann und Arbeiterführer Fritz Husemann, aber dominiert wird er von den großen Gebäuden der Dresdner Bank, der Commerzbank und der Deutschen Bank; lieber Himmel, selbst das Café heißt „d'oro” – aus Gold!

Zum vollständigen Bild gehört indes auch, dass am Rand des Platzes sehr regelmäßig sich Menschen versammeln, die gegen Hartz IV demons-trieren, aber eigentlich gegen den ganzen Kapitalismus. Montagsdemo, im sechsten Jahr jetzt schon: Ob das etwas sagt über den Gang der Dinge, kann man noch nicht recht beurteilen, aber eine Leistung ist das, über fünf Jahre, jeden Montag, und das ohne nennenswerten Erfolg.

Man klatscht einander zu

Rund 35 Menschen trudeln ein gegen 18 Uhr, man kennt sich, nickt sich zu, „viele, die man oft sieht”, beschreibt das der Mit-Initiator Christoph Schweitzer. Einige arbeitslos, mehr aber (prekär) beschäftigt, wenn politisch organisiert, dann links bis linksex-trem – unübersehbar ist die MLPD. Ein Transparent, ein Tischchen, eine Gitarre, ein Einkaufstrolley („Getränke gegen Spenden”) und ein ums Eck lugender Polizeibulli sind die festen Bestandteile, später wird sich noch eine große rote Fahne hinzugesellen; den Lautsprecher hat man leider vergessen heute. Im Strom der Fußgänger, die nun überwiegend einen Bogen schlagen, bilden die 35 ein ungefähres Viereck. Und, sehr ungewöhnlich für eine Demonstration: Sie sind nach innen gewandt.

Sie reden zueinander, sie predigen sozusagen den Gläubigen: „Raus aus Afghanistan” . . . „Wir brauchen die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich” . . . „In der Finanzkrise hat die Regierung 50 Milliarden in einer Nacht locker gemacht” . . . „Die Großkonzerne sollen die Krankenversicherung zahlen” . . . „Ein System ohne Ausbeutung” . . . „Hartz IV bedroht alle” . . . und nach jedem Beitrag klatscht man einander zu. Später im Gespräch wird Schweitzer sagen, die Motivation komme daher, dass „die meisten Leute, die man anspricht, uns zustimmen: Sauerei, Hartz IV”. In rund 100 Städten gibt es noch immer die Montagsdemos: „Es gibt kein Gesetz, das nach fünf Jahren immer noch so in der Kritik steht wie dieses”, sagt eine Frau.

Das Quadrat auf dem Husemannplatz, es wird nach 45 Minuten doch noch kurz Demo: 22 Leute jetzt noch, ziehen sie zu einem nahen Einkaufszentrum, ein Mann verteilt Flugblätter, und der Polizeibulli rollt entspannt hinterdrein – es ist eingetreten, was einer der beiden zum Routinetermin abgestellten Polizisten kommen sah: „Manchmal beschließen sie spontan, loszumarschieren, irgendwohin.” Eine kurze Absprache noch der Demonstranten, was man die Bundestags-Kandidaten fragen will kurz vor der Wahl („Gesundheitspolitik”, „Afghanistan”), dann zerstreut sich diese Demo. Bis nächste Woche, „da geht man hin, das schreibt man sich nicht mehr in den Kalender”, sagt einer.

Sollte man sich einen Initiator von Montagsdemos ausmalen, man käme vermutlich Ulrich Achenbach recht nahe: Guevara-T-Shirt, Marx-Bart, Sozialarbeiterzopf; Achenbach erledigt den Bürokram in einer kleinen Baufirma und hat ein Einkommen, das nahe bei Hartz IV liegt. „Die Deutschen sagen immer, sie können doch nichts ändern”, sagt Achenbach: „Aber man kann sicher nichts ändern, wenn man nur zuhause sitzt und schimpft.” Als Hartz IV neu war 2004, da kamen zu den ersten Montagsdemos Hunderte, ja über 1000 allein in Bochum. Das ging sehr schnell zurück, hat sich längst eingependelt bei 20 bis 30, das werden nicht mehr mehr. Aber Ulrich Achenbach glaubt. „Es wird die Zeit kommen, dass die Bevölkerung sich auch mal wehrt”, sagt er. Bis es soweit ist, wird er weiter zur Polizei gehen und die Montagsdemos anmelden. Pauschal, immer für ein Vierteljahr im Voraus.