Ein Chefarzt, der Angst vor Schadensersatzprozessen hat, der Personalkosten sparen und trotzdem eine Geburtsstation halten will, wird eher zum Kaiserschnitt als zur natürlichen Geburt raten.

Zu diesem Schluss kommt Dr. Edith Wolber, Sprecherin des Deutschen Hebammenverbandes e.V. (HBE). Ihre Begründung: „Ein Kaiserschnitt lohnt sich für jedes Haus. Er ist schnell erledigt, wird besser vergütet, ist auf die Stunde genau planbar, erspart mögliche Regressansprüche und teures Personal am Wochenende.” Laut Versichertendaten der KKH-Allianz nimmt die Geburtenrate zum Wochenende um bis zu 34 Prozent ab.

Das Sterberisiko

ist doppelt so hoch

Nordrhein-Westfalen ist schon lange Spitzenreiter und liegt mit einer Rate von 35 Prozent oder 46 415 Kaiserschnitten pro Jahr über dem Bundesdurchschnitt (31 Prozent). Laut Studie der Gmünder Ersatzkasse ist es nicht der Wunsch der Frauen, der die Rate ansteigen lässt. Stattdessen überzeuge der Rat der Ärzte, sich gegen eine natürliche Geburt zu entscheiden. Das bestätigt auch der Hebammenverband: „Jede Frau wünscht sich eine angstfreie Geburt. Und Gynäkologen haben den Kaiserschnitt als Mittel gegen Angst entdeckt”, sagt Edith Wolber.

Dabei sei ein Kaiserschnitt nicht unproblematisch. Meistens werde der Termin noch vor den einsetzenden Wehen angesetzt, so Wolber. ,,Zu diesem Zeitpunkt hat sich der Körper der Frau noch nicht umgestellt.” Auf die Gefahren eines geplanten Kaiserschnitts weist auch eine Studie von Forschern der Universität Genf hin. Demnach verdoppele sich das Sterberisiko für den Kaiserschnitt-Säugling. Bei natürlichen Entbindungen sterbe ein Kind von 1000, bei geplanten Geburten seien es zwei. Die Ursachen sehen die Forscher darin, dass bei vorgezogenen Geburtsterminen die Lungen der Babys nicht so gut ausgebildet seien wie bei der natürlichen Geburt.

„Frauen sind heute weniger denn je bereit, Risiken für ihr Kind einzugehen. Dies ergibt sich auch aus der Tatsache, dass ein geplanter Kaiserschnitt für die Mutter heute nicht mehr mit höheren Risiken verbunden ist als eine Spontangeburt”, begründet Prof. Dr. Thomas Schwenzer, Direktor der Frauenklinik der Städtischen Kliniken Dortmund, die hohe Kaiserschnittrate von 51 Prozent. Die Angst vor Regressforderungen spiele eine untergeordnete Rolle, man berate die Frauen ergebnisoffen. Auch die durch Kaiserschnitte zu erzielenden höheren Erlöse seien nicht ausschlaggebend. „Bestimmt nicht. Die Kosten sind ja auch höher.” 782 Kaiserschnitte erklärten sich auch dadurch, dass man Perinatalzentrum sei und auf dem Wege der geplanten Kaiserschnitte Risikokinder zur Welt bringe.

Dr. Petra Blanke, Leiterin der Geburtshilfe des Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, einer anthroposophischen Klinik, findet den Trend zur Entbindung nach Termin bedauerlich. ,,Die Folgen machen sich für eine Frau erst bei der zweiten Geburt bemerkbar.” Durch die Bauch-OP könne sich die Plazenta verschieben und an der Narbe könne es zu Verwachsungen kommen. Doch Frauen vertrauten eher Ärzten als Hebammen. Die Gynäkologin befürwortet natürliche Geburten, die durch Hebammen begleitet werden. In Herdecke erwartet man für das laufende Jahr 1000 Geburten, davon werden 26 Prozent medizinisch begründete Kaiserschnitte sein.

Und während diese Klinik fest angestellte Hebammen beschäftigt, sind sie in vielen anderen Krankenhäusern Mangelware. Stattdessen arbeiten sie häufig freiberuflich. Für einen Stundenlohn von 7,50 Euro leisten sie einen Knochenjob. „Meistens musst du mehrere Frauen gleichzeitig betreuen. Geburtsvor- und nachbereitung kommen noch dazu. Das ist kaum zu schaffen”, sagt Hebamme Patricia Gruber.

Sie ist ehrlich: „Bei drei anstehenden Geburten ist es mir lieber, zwei werden per Kaiserschnitt erledigt. Dann hat man wenigstens für eine Frau richtig Zeit.” Denn während eine Schwangere bei der natürlichen Geburt auch in der Nacht Wehen bekommen könne und Chirurgen, der Narkose- und der Kinderarzt bei Bedarf auch 18 Stunden bereit stünden, sei der Entbindungstermin beim Wunschkaiserschnitt auf die Stunde genau festgelegt.

Gruber kritisiert Ärzte, die eine Geburt nicht mehr als natürlichen Vorgang, sondern als medizinischen Akt verstünden. Vor 30 Jahren sei eine Steißlage normal gewesen. Heute werde bei dieser Diagnose sofort der Kaiserschnitt angeordnet. „Die Gynäkologen wissen nicht mehr, was dann zu tun ist”, sagt Gruber. Neben ihrer Hebammentätigkeit ist sie unabhängige Sachverständige im Hebammenwesen und beurteilt für Richter, Rechtsanwälte oder Krankenkassen die Arbeit ihrer Kolleginnen.

Kommt es zu Komplikationen, sind es meistens die Krankenkassen, die den Geburtshelfern oder den Ärzten einen Fehler nachweisen wollen. „Ist ein Kind behindert, wird alles berechnet: Pflege, Therapie, Verdienstausfall. Auf den Millionen-Kosten wollen die Kassen nicht sitzenbleiben”, bestätigt Hebammen-Sprecherin Edith Wolbers. Und die Krankenhäuser wollten es gar nicht erst so weit kommen lassen.