Essen. Das mutet merkwürdig an: RWE verteilt Kocher an tausende Haushalte in Sambia. Einfach so? Nein. Der zweitgrößte deutsche Energiekonzern verfolgt handfeste wirtschaftliche Interessen. Ein Lehrstück, wie marktwirtschaftliche Mechanismen das Klima zusätzlich schützen können – oder nicht.
In Sambias Hauptstadt Lusaka sollen die Kochsysteme, die RWE je etwa 100 Euro kosten, Holzkohle-Kocher ersetzen. So trägt der Konzern dazu bei, dass die Luft weniger verschmutzt und weniger Wald gerodet wird. Dafür hofft er auf CO2-Emissionszertifikate – also das Recht, je Zertifikat eine Tonne klimaschädliches Kohlendioxid in die Luft zu pusten.
2008 kam RWE über ähnliche Klimaschutz-Projekte an 5,6 Millionen Zertifikate. Dieses Jahr dürften es mehr sein.
Die Verschmutzungsrechte hat RWE bitter nötig. EU-weit ist die Kohlekraftwerksbetreiberin die größte CO2-Schleuder; niemand sonst schickt so viel davon in die Luft. Das ist in der EU seit 2005 teuer; damals begann der CO2-Emissionshandel. So sollen Industrie und Versorger veranlasst werden, weniger Treibhausgase auszustoßen. Bisher erhalten Firmen die meisten Rechte gratis, fehlende müssen sie zukaufen. Ab 2013 müssen Energieunternehmen alle CO2-Zertifikate kaufen.
Eine Milliarde Euro für Zusatz-Verschmutzungsrechte
Bei RWE geht das schon jetzt ins Geld. Der Konzern zahlte 2008 über eine Milliarde Euro für 67,5 Millionen Zusatz-Verschmutzungsrechte.
Projekte wie das in Sambia mindern die Kosten. Dank der 30 000 Kocher sinkt der CO2-Ausstoß bis 2020 laut RWE um 1,5 Millionen Tonnen. Für diese Klimaschutz-Förderung erhält RWE internationale CO2-Zertifikate. Die sind derzeit etwa einen Euro günstiger als die in der EU gehandelten Rechte, sagt Ludwig Kons. Der 49-Jährige leitet die Abteilung Klimaschutz bei der RWE-Stromerzeuger-Sparte Power. Er sucht mit etwa 40 Mitarbeitern aus neun Ländern weltweit Möglichkeiten, Kraftwerke sauberer, Fabriken abgasärmer, Energie oder, wie in Sambia, Kochen sauberer zu machen.
"Wir haben uns Zeit gelassen"
Auch der deutsche Branchenprimus Eon hat eine Klimaschutz-Abteilung, mit etwa sieben Mitarbeitern. Bisher startete Eon zwei Projekte, wie ein Sprecher sagt. „Wir haben uns Zeit gelassen.”
RWE hat derzeit etwa 50 Klimaschutz-Projekte, die von der UN anerkannt sind und daher CO2-Verschmutzungsrechte nach sich ziehen. Sambia ist das neueste.
„Im Prinzip vernünftig”
Bisher stellte RWE unter anderem einer ägyptischen Düngemittelfabrik einen haushohen Katalysator – gebaut von der Dortmunder Firma Uhde – zur Verfügung, der fast alles Lachgas aus Abgasen filtert. „Es ist 310 mal schädlicher als CO2 – RWE erhält daher je gesparter Tonne Lachgas das Recht, eine entsprechende Menge CO2 woanders auszustoßen”, sagt Kons. Er lobt solche Projekte: „Sie haben sich als erfolgreicher Mechanismus für Klimaschutz-Finanzierung und Wissenstransfer etabliert. Dieses Instrument sollte daher bei der Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember gestärkt und erweitert werden.”
Experten sind kritischer. „Der Grundgedanke ist im Prinzip vernünftig”, sagt Manuel Frondel vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). „CO2 kann man überall auf der Welt einsparen, in China günstiger als in Europa.” Die Frage aber sei: „Werden wegen dieser Projekte zusätzlich Klimaschutz-Maßnahmen ergriffen? Denn auch ohne die Projekte gäbe es Klimaschutz-Maßnahmen.” Ob die Umwelt tatsächlich besser geschützt werde, sei „schwer messbar”.
Martin Cames vom Öko-Institut stimmt zu: „Weltweit tragen etwa 40 Prozent dieser Projekte nicht übers normale Maß hinaus zum Klimaschutz bei.” Daher fordert der Experte des Forschungs- und Beratungsinstituts: „Es müssen allgemeine Standards festgelegt werden.” Er hofft, dass die Regierungen bei der Klimakonferenz in Kopenhagen Signale geben, in welche Richtung es künftig gehen soll.
Derzeit nützt das Projekte-System laut Frondel Europas Konzernen. Sie könnten Verschmutzungsrechte günstiger erwerben. Auch die Länder, in denen sich Konzerne engagieren, profitierten: „Sie bekommen finanzielle Hilfe beim Bau von Kohle- und Wasserkraftwerken oder Fabriken – und zudem die Technologie dazu. Dieser Geld- und Knowhow-Transfer ist hochgradig erwünscht.” Er merkt aber an: „Böse Zungen können behaupten, dass das Projektsystem eher eine verkappte Entwicklungshilfe als eine wirkliche Klimaschutzpolitik ist.”