Essen. Einer Studie zufolge gehören Wirtschaftsstraftäter häufig zum Top-Management. Und die Schäden, die den betroffenen Unternehmen durch Kriminalität entstehen, werden immer größer. Trotzdem kommen nur wenige Fälle zur Anzeige.
Der typische Wirtschaftsstraftäter ist männlich, sozial unauffällig, Mitte 40, überdurchschnittlich gebildet und gehört schon seit Jahren dem Unternehmen an, dem er Schaden zufügt. In der Regel ist der Täter kein Berufsanfänger mehr, sondern gewissermaßen in dem Betrieb groß geworden. Häufig gehört er zum Top-Management.
Immer mehr finanzieller Schaden durch Kriminalität
So beschreibt die renommierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PWC) das Profil von Managern, die zu Kriminellen werden. PWC hat gemeinsam mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg eine Studie erstellt, die auch die Ursachen und Motive für Wirtschaftsdelikte beleuchtet.
Betrug, Spionage, Korruption und andere Straftaten haben der Studie zufolge in den vergangenen zwei Jahren mehr als 60 Prozent der deutschen Großunternehmen getroffen. Dabei sind die direkten finanziellen Schäden enorm gestiegen. Im Durchschnitt verursachte jedes aufgedeckte Delikt einen Schaden von knapp 4,3 Millionen Euro. Bei vergleichbaren Studien aus den Jahren 2005 und 2006 lag der Wert noch jeweils bei knapp 1,6 oder 1,5 Millionen Euro.
Kriminelle in Nadelstreifen
Die hohen Schadenssummen lassen sich auch mit der Position der Täter begründen. Fast jeder dritte Wirtschaftskriminelle (29 Prozent) gehört der Studie zufolge zum Top-Management. 38 Prozent arbeiten im mittleren Management. Die Nadelstreifen-Kriminellen können sich offenbar vergleichsweise sicher fühlen. So werden Täter aus dem Top-Management deutlich seltener angezeigt (bei 33 Prozent der Fälle) als Führungskräfte aus dem mittleren Management (49 Prozent) oder Beschäftigte ohne Führungsaufgaben (54 Prozent). Immerhin für jeden fünften überführten Top-Manager hatte die Tat überhaupt keine Konsequenzen.
Zwar lasse sich „die relative Milde gegenüber Tätern aus der Führungsetage” auch mit besonderen rechtlichen Schwierigkeiten im Einzelfall erklären, sagt Steffen Salvenmoser, ein ehemaliger Staatsanwalt in Diensten von PWC. „Allerdings ist diese Praxis unter dem Gesichtspunkt der Glaubwürdigkeit und Vorbildfunktion des Managements äußerst problematisch.” Als Grund für die Zurückhaltung der Unternehmen sieht er eine weit verbreitete „Angst vor Imageschäden” durch ein Bekanntwerden der kriminellen Vorgänge.
Oft nur zufällig aufgedeckt
Oft wird Wirtschaftskriminalität nur zufällig oder durch einen Tippgeber entdeckt. Etwas häufiger als in früheren Jahren brachten allerdings systematische Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei Delikte ans Licht.
Für die Studie befragte PWC 500 deutsche Großunternehmen. Die Erhebung erfasst alle Straftaten, die seit 2007 begangen wurden. Im Gegensatz zur Kriminalstatistik wurden auch Taten berücksichtigt, bei denen es keine Anzeige gab.
„Korruption, Untreue – das ist allgemein in Deutschland. Ich würde das nicht branchenspezifisch festlegen wollen”, wird ein Befragter aus der Gesundheitswirtschaft in der Studie zitiert. Die Motive der Täter sind vielfältig und reichen von mangelndem Unrechtsbewusstsein über berufliche Enttäuschung bis zu reiner Geldgier. Mehr als jeder zweite Täter, heißt es in der Studie, konnte „den finanziellen Verlockungen nicht widerstehen”. Zunehmend spielt auch ein zu hoher Druck durch unternehmerische Zielvorgaben eine Rolle. Die Befragten führten 14 Prozent der Delikte darauf zurück – vor zwei Jahren lag dieser Wert noch bei elf Prozent.
Antrieb Gewinnmaximierung
Freimütig berichtete ein Manager aus der Baubranche über die Motive einer Tat. „Ursache war das Bestreben nach Gewinnmaximierung”, um so die individuellen Tantiemen in die Höhe zu treiben, sagte er. Ein Beschäftigter eines Finanzdienstleisters verwies auf das „Vertriebsanreizsystem” und mangelnde interne Kontrollen als Ursachen für kriminelles Handeln.
Die Autoren der Studie erwarten weitere Auswirkungen der Wirtschaftskrise. Der Druck steige, durch Kriminalität „hochgesteckte Unternehmensziele zu erreichen”.