Essen. Der Politikwissenschaftler Prof. Claus Leggewie und der Schriftsteller Navid Kermani debattieren über den Islam und den oft schwierigen Integrationsprozess. Beide Wissenschaftler stimmen im Gegensatz etwa zum Publizisten Ralph Giordano, der die Kölner Moschee erbittert ablehnt, überein, dass der Islam nicht reformresistent ist.

Die „westlichen Werte missionarisch vertreten” – das wird oft und immer häufiger gefordert in der manchmal verborgenen und manchmal schrillen Auseinandersetzung mit Muslimen, wenn es um ihre Traditionen und kulturellen Ausdrucksformen geht. Erst recht, wenn Zwangsehe, gar Ehrenmord, eine Rolle spielt.

Gefordert wird es jedoch von eben dieser „westlichen” Seite. Insofern scheint es überraschend, wenn die Verteidigung westlicher Werte von einem Sohn iranischer Eltern und erklärtem Muslim verlangt wird. In diesem Fall von dem Schriftsteller und Islamwissenschaftler Navid Kermani. Er ist davon überzeugt, dass es möglich ist, jene Werte zu verteidigen und dennoch das Kopftuch zu tragen.

Kermani und der Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI, Essen), Prof. Claus Leggewie, diskutierten für das politische Buchmagazin „Lesart” über ihre neuen Bücher zu Integration, Moscheebau und Islam im Essener Grillo Theater. Die Linie, die beide vertraten, wäre als ein aufgeklärter Realismus zu beschreiben: Der ist fern von jedem gutmenschelnden Multikulti-Kult, der alle tatsächlich vorhandenen kulturell aufgeladenen Spannungen ignoriert. So etwas nennt Leggewie „Eiapopeia-Harmonie”. Beide sind dagegen überzeugt, dass „Konflikte auf den Tisch gehören”, weil das Benennen von Konflikten „der Weg zur Integration ist”, wie Leggewie meint.

Jahrzehntelang untätig gewesen

Und wäre nicht ausländer- und integrationspolitisch drei Jahrzehnte lang nichts geschehen, wäre dem Land wohl eine oft heftige Überfremdungs-Panik erspart geblieben. Weil der Fakt endlos lange verdrängt worden sei, dass dieses Land Einwanderungsland ist, habe die Ausbreitung von Moscheen bei Bevölkerungsteilen zu schroffer Zurückweisung geführt. Was letztendlich eine Folge der unentrinnbaren Einsicht ist: „Wer baut, bleibt.”

Beide Wissenschaftler stimmen im Gegensatz etwa zum Publizisten Ralph Giordano, der die Kölner Moschee erbittert ablehnt, überein, dass der Islam nicht reformresistent ist. Leggewie glaubt, dass sich ein säkularer Islam herausbildet und dass religiöse Überzeugungen veränderbar und somit keine – wie oft behauptet – zu hohen Hürden für den Integrationsprozess in den westlichen Lebenskreis sind.

Nur: Wie verträgt sich diese Sicht mit einer Realität, zu der auch die Hassprediger gehören? Wie geht man mit ihnen um? Leggewie rät: Sie ihres Irrwitzes entlarven, sie lächerlich machen. Und Kermani, der westliche Muslim, empfiehlt, Recht und Gesetz gegen sie walten zu lassen.

„Lesart spezial” ist eine Veranstaltung von Deutschlandradio Kultur, KWI, Buchhandlung Proust und Schauspiel Essen. Medienpartner ist die WAZ. Die Sendung wird am Sonntag von 12.30 bis 13 Uhr im Deutschlandradio Kultur ausgestrahlt.