Berlin. Jedes vierte Kind wird schlecht versorgt: Trotz vieler Angebote gibt es im Gesundheitswesen „gravierende Defizite”. Nach Angaben der Regierung führe insbesondere die mangelnde Koordination der vielen Beteiligten im Gesundheitsbereich zu einer Verschlechterung der Versorgungslage.

Rund 140 000 Kinder eines jeden Geburtsjahrgangs in Deutschland wachsen mit deutlich schlechteren gesundheitlichen Startchancen auf, als die übrigen 560 000. Das ist einer der zentralen Punkte auf der Mängelliste, die der Sachverständigenrat der Bundesregierung für das Gesundheitswesen ermittelt hat.

Das Grundübel, so der Vorsitzende des siebenköpfigen Gremiums, Prof. Eberhard Wille, in Berlin, sei die fehlende Koordination der vielen Beteiligten im Gesundheitsbereich. Dadurch verschlechtere sich vor allem bei den immer zahlreicheren Älteren mit mehreren Krankheiten und bei Kindern die Versorgungslage. So bekämen Kinder zu oft unnötigerweise Psychopharmaka, etwa gegen das „Zappelphilipp”-Syndrom ADHS, oder Antibiotika bei Infektionen mit Viren verschrieben. Wille forderte stattdessen ein Mix aus Therapien und Gesundheitsförderung.

Mehr als neun Medikamente gleichzeitig

Bei den über 65-Jährigen wiederum würden inzwischen bei 35 Prozent der Männer und 40 Prozent der Frauen neun oder mehr Medikamente gleichzeitig in Dauertherapie verabreicht; mit zum Teil erheblichen Nebenwirkungen. Die Forscher beklagen hier das Fehlen von „Leitlinien” zur Behandlung von chronischen Mehrfacherkrankungen und verlangen die Einführung von öffentlich einsehbaren Listen mit umstrittenen Arzneien.

Das 900 Seiten starke Gutachten soll Wege zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens aufzeigen. Demnach droht ein Engpass in der medizinischen Versorgung. Auch die Pflege-Kapazitäten reichten nicht aus. Bis zum Jahr 2050 werde die Zahl der Pflegebedürftigen von heute 2,1 Millionen auf bis zu 4,5 Millionen ansteigen – bei schwindendem Pflegepersonal.

Der Sachverständigenrat wirbt unter dem Strich für eine komplette Neuordnung des Gesundheitswesens. Ziel müsse es sein, Fachärzte, Kliniken und Apotheker künftig nicht mehr nach punktuellen Diagnosen und Behandlungen zu bezahlen, sondern nach dem tatsächlichen Bedarf in der jeweiligen Region.

Mehr zum Thema: