Essen. Wenn 2013 in NRW zwei Jahrgänge gleichzeitig Abitur machen, nämlich die letzten nach neun Jahren Gymnasium und die ersten nach nur acht Jahren, dürfte es vor allem auf dem Ausbildungsmarkt eng werden.

58 000 zusätzliche Abiturienten erwartet das Schulministerium NRW für 2013, wenn zwei Jahrgänge zeitgleich Abi machen. Dabei reichen die Studien- und Ausbildungsplätze schon für die „üblichen” 70 000 kaum aus. Besonders hart wird der Doppeljahrgang neben Lehrstellensuchenden mit mittlerem Schulabschluss jene treffen, die 2012 leer ausgegangen sind. Die 2013 als „Altbewerber” antreten müssen.

Dass Arbeitgeber aus purer Solidarität bedarfsgerecht ihr Ausbildungsplatzangebot erweitern, ist kaum zu erwarten. Große Arbeitgeber in Bayern, wo der Doppeljahrgang schon 2011 ansteht, haben signalisiert, dass sich das Ausbildungsplatzangebot nach dem eigenen Bedarf richte, nicht nach dem der Landespolitik.

G8 bundesweit

Drei kleine Bundesländer haben den Doppeljahrgang bereits hinter sich.

In Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und im Saarland ist der Übergang zur verkürzten Gymnasialzeit schon erfolgt. In Hamburg gibt es den Abitur-Doppeljahrgang 2010. Bayern und Niedersachsen sind 2011 soweit. 2012 folgen Baden-Würtemberg, Berlin, Brandenburg und Bremen. Hessen startet zeitgleich mit NRW 2013, hat den Jahrgang allerdings gesplittet. Die zweite Hälfte folgt dort 2014.

So schwarz mag Sabine Mayer, Geschäftsführerin Bildung bei der IHK-Vereinigung NRW, nicht sehen. „Der Verdrängungswettbewerb läuft nur bedingt. Es gibt durchaus Berufe, in denen Real- oder Hauptschüler bessere Chancen haben als Abiturienten. Im Handwerk etwa. Und manchem Arbeitgeber ist ein verlässlicher Realschüler, der nach der Ausbildung im Betrieb bleibt, lieber als ein Abiturient, der nur durchläuft. Aber wir müssen tatsächlich dringend zusätzliche Modelle für eine duale Ausbildung entwickeln. Noch sind wir bei der Problemanalyse, die Gespräche zwischen Kammern und Partnern laufen an, Arbeitsgruppen sind gebildet.”

Werner Marquis, Sprecher der Bundesagentur für Arbeit in NRW, sieht Probleme schon ab 2012 mit dem Doppeljahrgang bei der Fachhochschulreife. Wie es den Absolventen ab 2012 ergehen wird, hängt laut Marquis vor allem davon ab, wie weit die Finanzkrise bis dahin überwunden ist. „Ab 2018 braucht die Wirtschaft neue Fachkräfte. Die zu qualifizieren, dauert. Aber ob die Wirtschaft schon 2013 so viele ausbilden kann und will, hängt von der wirtschaftlichen Situation zu der Zeit ab.”

Einfach wird es allerdings auch für 2013-er Abiturienten nicht, die ein Studium planen. In Bayern hat man das Abitur im Doppeljahrgang aufgesplittet. Die G9er machen bereits im März ihre Prüfung, können schon im Sommersemester ein Studium aufnehmen. In NRW sollen beide Jahrgänge das Abi gemeinsam ablegen, Studienstart ist also für alle im Herbst.

Noch Reste aus Bayern

und Baden-Würtemberg

Thomas Breuer, Sprecher des NRW-Schulministeriums, hält die Probleme für beherrschbar: „Durch das gemeinsame Abitur haben die Schüler eine größere Fächerauswahl. Und dank Hochschulpakt wird das Studienplatzangebot umfangreich ausgebaut. Ohnehin nehmen die meisten ihr Studium nicht direkt nach dem Abitur auf.”

Den Turbo-Gang eingelegt

Um die Situation für ihre Schüler zumindest etwas zu entzerren, haben einzelne Schulen im Land sich eigene Wege gesucht. Das Konrad-Duden-Gymnasium in Wesel etwa. Hier haben zehn Schüler des 9. Jahrgangs gerade die zehnte Klasse gemeinsam übersprungen, nach intensiver Förderung im zweiten Halbjahr der neunten Klasse. „Das war eine besonders leistungsstarke Klasse. Deshalb bot sich das an,” erklärt Schulleiter Dr. Heinzgerd Scholz. Springer habe es zwar immer schon gegeben, aber eher als Ausnahme und vor allem nicht in großen Gruppen.

Situation entzerren

Man wollte den Schülern aber die Möglichkeit geben, dem großen Ansturm 2013 zu entgehen. Die Gruppe habe sich bereits gut integriert.

An der Bochumer Goethe-Schule ist eine ganze Klasse gesprungen. Am Ende der Klasse 7 wurden die 24 besten Schülerinnen und Schüler aus den vier Klassen zusammengezogen, um in zwei Jahren das Lernprogramm von drei Jahrgängen zu absolvieren. Hier sind es jetzt „nur” noch sieben statt acht Klassen, die 2013 gemeinsam Abitur machen. Der Sprung ist mittlerweile vollzogen, die Klasse schnitt in der Zentralen Abschlussprüfung der 10. Klasse gut ab.

Das gilt aber nicht nur für NRW. Und so werden bayrische und baden-würtembergische Studienanwärter aus deren Doppeljahrgängen 2013 noch in NRW zu Buche schlagen. Das Problem verschiebt sich nach hinten. Davon geht auch das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in seinen Prognosen aus.

Der Philologenverband NRW ist skeptisch. „Es findet zuviel Beruhigung statt und es passiert zu wenig. Allein Fachhochulen für Mint-Fächer auszubauen, reicht nicht. Wir sind sehr skeptisch, dass die Kapazitäten reichen werden,” betont Philologensprecher Peter Silbernagel. Die Skepsis teilt der Verband Erziehung und Bildung (VBE). „Es werden sowohl Ausbildungsplätze als auch Studienplätze fehlen,” fürchtet VBE-Sprecher Udo Beckmann. Die Landeselternschaft der Gymnasien ist zuversichtlicher, setzt darauf, dass der Hochschulpakt greift.