Ted Kennedy, einer der wichtigsten demokratischen Politiker, kam - vom Krebs schwer gezeichnet - überraschend zum Parteitag nach Denver, um Obama zu unterstützen. Sein Auftritt rührte seine Parteifreunde zu Tränen

Denver. Sie nennen ihn den Löwen. Immer noch. Dabei ist von der alten Kraft nicht mehr viel übrig, und aus der Löwenmähne ist das schüttere Haar eines alten Mannes geworden, mit einer großen kahlen Stelle am Hinterkopf, dort, wo im Frühsommer die Schädeldecke geöffnet worden war. Ted Kennedy hat einen unheilbaren Gehirntumor. Schon vor Wochen hatte er seine Teilnahme am Parteitag in Denver auf Anraten der Ärzte absagen müssen. Eine Videobotschaft sollte seinen Auftritt ersetzen. Doch in letzter Minute entschied sich Ted Kennedy anders und flog doch noch zum Parteitag.

Sichtlich geschwächt, aber innerlich entschlossen, rief er seine Parteifreunde und Landsleute dazu auf, Barack Obama zum Präsidenten zu wählen. "Ich habe noch nie so viele Menschen weinen sehen", sagte später der erfahrene Reporter Wolf Blitzer, der für Zeitungen und Fernsehsender seit Jahrzehnten bei jedem Parteitag dabei war. Tatsächlich rührte Kennedy die Delegierten auf eine Weise an, wie es sonst wohl niemand könnte. Mit sagenhaften 46 Jahren im US-Senat, mit dem tragischen Erbe zweier ermordeter Brüder und mit der Bilanz eines jahrzehntelangen Kampfes für mehr soziale Gerechtigkeit in Amerika ist Ted Kennedy so etwas wie das Herz der Demokratischen Partei, viel mehr als es Jimmy Carter oder Bill Clinton jemals sein könnten.

Caroline Kennedy, die Tochter des 1963 ermordeten Präsidenten John F. Kennedy, kündigte am ersten Abend des Nominierungsparteitages den Überraschungsauftritt ihres Onkels an. Sie selbst hatte sich schon hinter Obama gestellt, als Hillary Clinton in den Umfragen der "Primaries" noch führte. "So viele Menschen haben mir erzählt, wie sehr mein Vater sie inspiriert hat", sagte Caroline Kennedy am Montagabend, "und ich konnte das nie richtig nachempfinden, weil ich das selbst so nie erlebt und nie gespürt habe. Aber jetzt gibt es jemanden, der mich genauso inspiriert: Barack Obama."

Ted Kennedy, der von seiner Frau Vicki ans Rednerpult geführt wurde und sichtlich Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten, versuchte auf ähnliche Weise, eine Brücke von John F. Kennedy zu Barack Obama zu schlagen: "Dies ist wieder so eine Zeit der Hoffnung", sagte der 76-jährige, "im November werden wir die Fackel an eine neue Generation weitergeben und Obama zum Präsidenten wählen. Ich verspreche Euch, dass ich bei seiner Amtseinführung im Januar dabei sein werde."

Kennedy endete mit dem leicht variierten Satz aus einer früheren Rede, der längst in den amerikanischen Zitatenschatz eingegangen ist: "Der Traum wird weiterleben."

Noch eine Stunde vor Beginn des Abendprogramms war unklar, ob Kennedy die Kraft für den Auftritt haben würde. Erst am Morgen hatte er sich entschlossen, gegen den Rat der Ärzte doch noch nach Denver zu fliegen. Viele andere Mitglieder des weitläufigen Kennedy-Clans waren aus allen Teilen des Landes herbeigeeilt, um in dem historischen Moment dabei zu sein. Sie standen am Ende mit ihm auf der Bühne, als Ted Kennedy von tausenden weinender Anhänger umjubelt wurde.

Nur Maria Shriver, Ehefrau des kalifornischen Gouverneurs und Republikaners Arnold Schwarzenegger, wollte den Augenblick nicht im Rampenlicht erleben. Man sah sie weit entfernt von der Bühne, anonym, im Dunkel der hinteren Ränge sitzen. Von hier aus beobachtete sie den mutmaßlich letzten großen Auftritt ihres Onkels. Sie heulte hemmungslos.