Athen. Die Brände bedrochen sogar die Hauptstadt Athen. Die Großbrände wecken Erinnerungen an die letzten Waldbrände. Doch gelernt hat man daraus nichts.

Die Stimme der Frau, die aus dem Athener Vorort Agios Stefanos anruft, überschlägt sich: „Warum hilft uns keiner, wo ist die Feuerwehr?” Im Hintergrund hört man Kindergeschrei. „Die Flammen kommen immer näher – helft uns doch endlich, holt uns hier raus!” Hunderte solcher verzweifelten Hilferufe gingen gestern bei griechischen Rundfunk- und Fernsehstationen ein.

„Der Alptraum kehrt zurück”, titelte am Sonntag die Zeitung „Kathimerini”. Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach den verheerenden Feuerstürmen auf dem Peloponnes, bei denen 65 Menschen qualvoll in den Flammen umkamen, wiederholt sich die Katastrophe – diesmal in unmittelbarer Nähe der griechischen Hauptstadt Athen. Was am Freitagabend als ein scheinbar harmloser Buschbrand in einer Schlucht bei der Ortschaft Grammatikos nordöstlich Athens begonnen hatte, entwickelte sich zu einer Flammenhölle.

Am Samstagnachmittag riefen die Behörden für die Hauptstadtprovinz Attika den Notstand aus. Über Athen verdunkelte eine riesige Rauchwolke den Himmel. Durch den Qualm war die Sonne nur als eine rötlich schimmernde Scheibe zu sehen. Ein Regen aus grauen Ascheflocken ging über der Stadt nieder. Beißender Brandgeruch lag in der Luft und machte den Menschen das Atmen schwer. Hunderte Feuerwehrleute, Soldaten und freiwillige Helfer kämpften bis zur völligen Erschöpfung gegen die Flammen. Aber die starken Winde fachten den Feuersturm immer weiter an. Kiefern und Zypressen brannten lichterloh wie riesige Fackeln.

Zwölf Flugzeuge und neun Hubschrauber im Einsatz

Zwölf Flugzeuge und neun Hubschrauber waren im Einsatz. Am Sonntagnachmittag wurden je zwei Löschlugzeuge aus Italien und Frankreich in Athen erwartet. In waghalsigen Tiefflügen bombardierten die Piloten die Feuerfronten mit Löschwasser. Aber vor allem der dichte Rauch machte es den Piloten schwer, ihr Löschwasser gezielt über dem Feuer abzuwerfen. „Die Flammen lodern bis zu 40 Meter hoch, wir sind machtlos”, berichtete ein Feuerwehrmann.

Am Sonntagnachmittag konzentrierte sich die Feuerwehr fast nur noch darauf, die von den Flammen bedrohten Vororte der Viermillionenstadt zu verteidigen. „Vorrang hat jetzt, Menschenleben zu retten”, sagte Innenminister Prokopis Pavlopoulos im Fernsehen.

Dramatisch war die Lage im Athener Vorort Agios Stefanos. „Der Ort steht in Flammen, wir sind auf der Flucht”, berichtete der Vize-Bürgermeister mit tränenerstickter Stimme telefonisch im Radio. Verzweifelt versuchten viele Einwohner mit Gartenschläuchen, Eimern und abgebrochenen Zweigen die Flammen in den Vorgärten ihrer Häuser zu ersticken – nur um dann mit ansehen zu müssen, wie ihr Besitz schließlich doch in Flammen aufging.

Feuerwehrsprecher Giannis Kapakis forderte übers Fernsehen die Bewohner der bedrohten Gebiete auf, die Ortschaften zu verlassen. Tausende Menschen im Katastrophengebiet rafften ihre wertvollsten Habseligkeiten zusammen und flohen in ihren Autos, mit Motorrädern oder zu Fuß vor den Flammen. Ob es alle Menschen schafften, dem Inferno unversehrt zu entkommen, war am Sonntag noch ungewiss.

Wieder gab es keinen Evakuierungsplan

Wie schon bei der Feuerkatastrophe auf dem Peloponnes gab es auch diesmal offenbar keine Pläne für eine geordnete Evakuierung. Auf den Straßen im Brandgebiet herrschten Konfusion und Chaos. Und wie bei den Feuerstürmen vom August 2007 scheint es auch diesmal schwere Versäumnisse bei der Brandbekämpfung gegeben zu haben. Lokalpolitiker erhoben den Vorwurf, die Feuerwehren hätten den bereits am Freitagabend ausgebrochenen Brand zunächst völlig unterschätzt und viel zu spät eingegriffen.

"Leider haben wir aus der Lektion des Jahres 2007 keine Lehren gezogen", kritisiert Dimitris Karavellas, Direktor der Umweltschutzorganisation WWF Hellas. Ministerpräsident Kostas Karamanlis ließ sich in einem Armeehubschrauber über das Brandgebiet fliegen und berief im Megaron Maximou, seinem Amtssitz an der Athener Herodes-Attikus-Straße, eine Krisensitzung nach der anderen ein. Zwischendurch tauchte der Premier immer wieder im Einsatzzentrum der Feuerwehr auf. Aber diese hektischen Aktivitäten gleichen die Versäumnisse der vergangenen Jahre nicht aus. Immer noch gibt es in Griechenland viel zu wenig freiwillige Feuerwehren, die Brandherde löschen könnten, bevor sie sich zu Feuerstürmen auswachsen. Weil es die Forstverwaltung versäumt, die Wälder zu bewirtschaften, finden die Flammen im trockenen Unterholz reiche Nahrung. Und wie schon bei der Katastrophe von 2007 zeigte sich auch jetzt, dass es in den gefährdeten Ortschaften fast nirgendwo Hydranten gibt. Das Löschwasser muss deshalb in Tankwagen über viele Kilometer herangeschafft werden. Über das Ausmaß der Katastrophe gab es am Sonntag noch kein klares Bild. Das Brandgebiet umfasste mehrere hundert Quadratkilometer - und noch waren die Feuerfronten keineswegs unter Kontrolle. Am Sonntagnachmittag fraß sich das Feuer die Nordostflanke des Pendeli-Massivs hinauf. Auf der anderen Seite des Berges liegen die Athener Villenviertel Politia und Ekali. Ihre Evakuierung könnte als nächstes anstehen.

Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungsverfahren ein

Die Athener Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein - Brandstiftung lautet der Verdacht. Das östliche Attika ist seit Jahrzehnten im Visier der Grundstücksspekulanten, die `wertlosen" Wald mit einem Brandsatz in lukratives Bauland umzuwandeln versuchen. Seit dem Bau des neuen Athener Flughafens und der Umgehungsautobahn haben die Grundstückspreise hier deutlich angezogen - ein Motiv mehr für die Brandstifter. Nach einer Statistik der Feuerwehr gingen in den vergangenen Jahren 21 Prozent aller Waldbrände in Griechenland auf vorsätzliche Brandstiftung zurück. Die Dunkelziffer ist beträchtlich: in 40 Prozent der Fälle konnten die Ermittler die Brandursache nicht zweifelsfrei klären. Wer beim Zündeln erwischt wird, kann auf Milde rechnen: zwischen 1998 und 2005 wurden zwar in Griechenland 1.339 Brandstifter zu Haftstrafen zwischen einem und fünf Jahren verurteilt. Sitzen musste aber so gut wie keiner: in fast allen Fällen wurden die Strafen zur Bewährung ausgesetzt oder in Geldbußen umgewandelt.

Diese Feuerstürme werden den ohnehin schrumpfenden Waldbestand in der Umgebung Athens weiter dezimieren. Welche Folgen diese Feuerkatastrophen für das Mikroklima einer Region haben, zeigt sich bereits in den vor zwei Jahren abgebrannten Landstrichen des Peloponnes: die Bewohner klagen über zunehmende Hitze. Wissenschaftliche Studien bestätigen den Temperaturanstieg. Zwar versicherte die Regierung, die abgebrannten Flächen würden wieder aufgeforstet. `Wo Wald war, wird wieder Wald sein" versprach Ministerpräsident Karamanlis 2007 - eine kühne Prognose. Ob sie sich erfüllt, wird der Premier selbst wohl nicht mehr erleben: bis ein abgebrannter Wald wieder herangewachsen ist, vergehen rund 50 Jahre - wenn es zwischendurch nicht wieder brennt