Essen. Die drastischen Sparmaßnahmen im Nahverkehr gehen häufig zu Lasten von Sicherheit und Service bei Bussen und Bahnen. Die überlasteten Fahrer können die Fahrpläne nicht mehr einhalten, und der raue Fahrstil gefährdet sogar zunehmend die Passagiere. Das Sicherheitsgefühl gerät unter die Räder.
Die drastischen Sparmaßnahmen im Nahverkehr beeinträchtigen zunehmend Sicherheit und Service bei Bussen und Bahnen. Oft überlastete Fahrer, getrieben von dauernden Verspätungen durch wirklichkeitsfremde Fahrpläne, vermehrte Fahrten über rote Ampeln, rauer Fahrstil – das ist zwar nicht der Standard, wird aber von immer mehr Fahrgästen im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) beklagt. Ihr Sicherheitsgefühl gerät zunehmend unter die Räder. Dazu einige Beobachtungen und Hintergründe aus dem VRR-Alltag 2009.
Vor kurzem wurde es einem Fahrgast zu bunt. Als er zum wiederholten Mal erlebte, dass ein Bus bei gerade Rot gewordener Ampel noch über die Kreuzung bretterte, fragte er den Fahrer: „Muss das sein?“ Die Antwort sprach Bände: „Ich hab' schon acht Minuten Verspätung. Aber an dieser Kreuzung kann nichts passieren.” Wer so redet, macht das offenbar nicht zum ersten Mal.
Aber warum? Busfahrer gefährden damit ihren Job. Bei Verkehrsunternehmen gibt es zu diesem heiklen Thema offiziell meist keine Stellungnahmen. Hinter vorgehaltener Hand schon. Bei Rot über die Ampel zu fahren, sei natürlich nicht hinzunehmen, heißt es bei einem der Verkehrsbetriebe im VRR. „Doch durch die von der Politik verordneten Sparmaßnahmen ist der wirtschaftliche Druck in den letzten Jahren immer größer geworden”, berichtet ein Insider. Um Fahrzeuge und Fahrer einzusparen, seien die Fahrpläne immer enger gestrickt worden. Da sei inzwischen kaum noch Luft drin.
Verspätungen sind Alltag
Das bekommen die Busfahrer – und ihre Fahrgäste – jetzt deutlicher zu spüren, als noch vor einigen Jahren. Verzögerung durch Staus, durch Baustellen oder auch durch den Schulschluss, bei dem Schülermassen in die Busse drängen, hat es immer schon gegeben. Jetzt aber fehlt in vielen Fahrplänen ein zeitlicher Puffer. Die Folge: Auf immer mehr Nahverkehrslinien im Ruhrgebiet sind permanente Verspätungen Alltag.
Ständig hinter ihrem Fahrplan herzujagen, bedeutet für die Busfahrer Dauerstress. Unter dieser Belastung, so folgert ein Unternehmenssprecher, könne es natürlich vermehrt zu Problemen mit der Sicherheit und dem Service gegenüber den Fahrgästen kommen. „Wir wissen: Der Ton in vielen Bussen ist rauer geworden.” Im Betrieb sei der Druck, unter dem viele Fahrer leiden, inzwischen ein Hauptgesprächsthema. Es brodele unter den Mitarbeitern.
Das Festhalten an „Schönwetter-Fahrplänen” hat inzwischen kuriose Folgen. So erklärte jüngst eine Stadtverwaltung im Revier den Fahrplan einer Buslinien in ihrem Bereich indirekt für ungültig. Die Busse fahren zwar noch, aber eine pünktliche Abwicklung des Betriebes sei „leider nicht möglich”, hieß es.
Das überrascht nicht. Denn diese Linie schlängelt sich über 30 Kilometer durchs westliche Ruhrgebiet. Für Nahverkehrsexperten ein Horror. Sie wissen: Lange Linien sind der Tod jedes Fahrplans. Dennoch war diese Strecke erst vor zwei Jahren vom kommunalen Verkehrspolitikern angeordnet und als eine der längsten Linien im VRR bejubelt worden. Doch die Fahrer haben hier nichts zu lachen: Rund 75 Minuten ohne Pause brauchen sie für eine Tour durch drei Städte.
Ob lange oder kurze Linien: Gestresste Busfahrer sind oft auch keine guten Gastgeber. Da werden die Fahrgäste schon mal als zusätzliche Belastung gesehen – und die ältere Frau mit Gehwägelchen hat schlechte Karten. Gerade hat sie den Bus erklommen, da jagt der Fahrer auch schon los. Rücksicht auf spezielle Fahrgäste ist offenbar nicht mehr drin. Die Frau stürzt durch den Bus und kann froh sein, dass sie von Fahrgästen mit festem Griff gehalten wird. Einige Pendler sind darin bereits Meister.
Große Probleme, Busfahrer zu bekommen
Dass man im VRR immer häufiger den Eindruck hat, von Menschen transportiert zu werden, die früher einmal Kartoffeln oder Zementsäcke gefahren haben, kommt nicht von ungefähr. „Wir haben große Probleme, genügend gute Busfahrer zu bekommen”, klagt der Sprecher eines Verkehrsbetriebes.
Der Grund auch hier: Sparmaßnahmen. Schon seit 1995 wurde die tarifliche Bezahlung der Fahrer immer schlechter. Heute startet ein Busfahrer mit etwa 1900 Euro brutto und kann es nach 16 Jahren auf rund 2600 Euro bringen – wenn er das bei den extrem wechselnden Schichtzeiten überhaupt durchhält. Wer will da noch diesen Knochenjob machen?
Unter den Sparzwängen und dem Imageverlust leiden auch die vielen Fahrer, die ihre Arbeit trotz aller Widrigkeiten noch immer zur Kundenzu-friedenheit erledigen.
Aber die schwarzen Schafe sind auf dem Vormarsch und zeichnen sich zunehmend auch durch mangelnde Ortskenntnisse aus. So erleben Fahrgäste im Spar-Nahverkehr immer öfter auch skurrile Situationen, wie jüngst in Oberhausen. Ein Linien-Busfahrer kannte da seinen Streckenweg wohl nicht so genau und kam zwischen zwei Haltestellen vom rechten Weg ab. Erst der vereinigte Fahrgast-Chor brachte ihn wieder auf den richtigen Linien-Pfad: „Jetzt rechts. Nächste links. Jetzt geradeaus. . .”