Winnenden. Eine halbe Woche nach dem Amoklauf mit 16 Toten gehen die Menschen in Winnenden erste zögerliche Schritte in Richtung Normalität. Die Suche nach dem Motiv von Tim K. geht unterdessen weiter. Die Ermittler haben auf dessen Computer unter anderem eine große Zahl von Pornobildern gefunden.

Eine halbe Woche nach dem Amoklauf mit 16 Toten gehen die Menschen in Winnenden erste zögerliche Schritte in Richtung Normalität. Am Samstag halten sie ihren Markt in der Altstadt ab, kaufen Brot, Wurst und Gemüse und unterhalten sich. Doch die Gespräche drehen sich vor allem um eins: Die 15 Menschen, die der 17-Jährige Tim K. am Mittwoch erschossen hat, bevor er sich selbst eine Kugel in den Kopf jagte. Eine 16-jährige Schülerin der Albertville-Realschule ist am Samstag als erstes Opfer unter großer Anteilnahme beigesetzt worden.

Vor der Schule wie in der gesamten Stadt wehen die Fahnen auf Halbmast. Mit rot-weißen Plastikbändern ist das Gebäude abgesperrt, die Klassenzimmer sind dunkel. Nachdem die Schüler am Samstag ihre Sachen abgeholt haben, die sie auf ihrer Flucht zurücklassen mussten, stehen nur noch vereinzelte Fahrräder in dem dafür vorgesehenen Unterstand.

Der Innenminister von Baden-Württemberg, Heribert Rech, nimmt auf einer Pressekonferenz Stellung zu der schrecklichen Bluttat. Foto: Matthias Graben/WAZ
Der Innenminister von Baden-Württemberg, Heribert Rech, nimmt auf einer Pressekonferenz Stellung zu der schrecklichen Bluttat. Foto: Matthias Graben/WAZ © WAZ

Noch immer kommen zahlreiche Menschen zu der Schule, an der Tim K. vergangenes Jahr seinen Abschluss gemacht hatte. Sie legen Blumen nieder und betrachten die Stofftiere und Abschiedsbriefe, die die Freunde der Getöteten geschrieben haben. Vom Regen durchnässt lassen die Rosen und Nelken die Köpfe hängen, viele der unzähligen Kerzen sind ausgegangen. «Warum Schüler und Lehrer?», «Warum in Winnenden?» ist auf von Schülern gemalten Schildern zu lesen.

Doch die Frage nach dem Warum ist auch am Tag 4 nach dem Amoklauf noch völlig ungeklärt. Auf der Suche nach einem Motiv befragen auch am Wochenende 30 Ermittler Schüler, Lehrer und sonstige Augenzeugen, durchsucht das Landeskriminalamt Baden-Württemberg weiter den Computer des Amokläufers, der von Freunden und Bekannten durchweg als freundlich, nicht aggressiv, aber zurückgezogen beschrieben wird.

Pornobilder mit gefesselten Frauen

Doch Tim hatte auch eine andere Seite, die die Ermittler nach und nach ausleuchten. Neben Ego-Shooter-Spielen wie «Counterstrike» und «TacticalOps» entdeckten die Ermittler auf dem Computer des 17-Jährigen eine große Zahl von Pornobildern, unter anderem von nackten, gefesselten Frauen.

Dass sich Tim einer psychotherapeutischer Behandlung unterzogen habe, lassen die Eltern indes am Wochenende von ihrem Anwalt dementieren. Polizei und Staatsanwaltschaft bestehen aber darauf, dass Tim K. mehrmals in einer psychiatrischen Klinik in Weinsberg vorstellig geworden sei, wie es auch deren Ärztlicher Direktor erklärt hatte.

Für die Ermittler wie für den Vater des Amokläufers, Jörg K., ist der Unterschied zwischen ambulanter Behandlung und Therapie möglicherweise entscheidend. Denn wenn bei Tim eine «Amokneigung» erkennbar gewesen wäre, könnte sich der Vater der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht haben. Er hatte eine seiner zahlreichen Waffen nicht wie vorgeschrieben im Tresor, sondern im Schlafzimmer aufbewahrt, und genau mit dieser Pistole tötete Tim seine 15 Opfer.

Schüler sollen auch wieder nach vorne blicken

Auch die unmittelbaren Zeugen der Tat, die Schüler und Lehrer der Albertville-Realschule, begeben sich ab (dem morgigen) Montag langsam in Richtung Normalität. Zum ersten Mal gibt es für sie wieder die Möglichkeit, in ihren Jahrgangsstufen zusammen zu kommen und unter Anleitung ihrer Lehrer das Geschehene gemeinsam aufzuarbeiten. Dazu sind Räume in anderen Schulen und Gemeindeverwaltungen organisiert worden, Schulpsychologen sind zur Unterstützung dabei.

Vorstellbar sei etwa, dass in den Gruppen Vorschläge für Politiker und andere Verantwortliche erarbeitet werden, wie künftig Amokläufe verhindert werden können, sagt Schulamtsdirektor Wolfgang Schiele am Sonntag. Dadurch würde die Aufarbeitung des Geschehenen unterstützt und der Blick der Schüler nach vorne gelenkt. Das Angebot ist aber freiwillig und es werde sehr darauf geachtet, was die Schüler überhaupt verkraften können, meint Schiele.

Jeden Abend werde man sich zusammensetzen und überlegen, wie es am nächsten Tag weiter gehen soll, ob die Angebote die Schüler überfordert haben oder nicht. Ob sie allerdings jemals wieder in ihre Schule zurückkehren werden, ist derzeit völlig unklar. In Erfurt musste das Gutenberg-Gymnasium nach dem dortigen Amoklauf vor sieben Jahren komplett umgebaut werden, bevor der Unterricht wieder aufgenommen werden konnte. (ap)

Mehr zum Thema: