Essen. “Flug 4U9525 – Wie können wir mit dieser Katastrophe umgehen?“, fragte Günther Jauch am Sonntagabend. Antworten gab es nicht - dafür Spekulationen.
Eigentlich spricht alles gegen diese Sendung. Günther Jauch steht, nicht erst seit der umstrittenen Episode mit dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, in der Kritik. Und die Berichterstattung nach der Germanwings-Katastrophe am vergangenen Dienstag hat viele Menschen verärgert. Sie wünschten sich mehr Zurückhaltung, weniger Spekulationen, Ruhe für die trauernden Angehörigen. Keinen Talk, schon gar keine Show.
Dass Jauch an diesem Sonntag dennoch eine Sendung zum Thema „Flug 4U9525 – Wie können wir mit dieser Katastrophe umgehen?“ vorbereitete, lässt sich zwar als die Bereitschaft deuten, sich unbequemen, schwierigen Fragen zu stellen. Doch diesen Ehrgeiz hatte Jauch dann nicht. Von Kay Kratky, Lufthansa-Pilot und -Vorstandsmitglied, möchte er in einer sehr, sehr langen Eingangsfrage eigentlich nur eines erfahren: Wissen Sie mehr, als das, was bekannt ist? Kratky verneint, rettet sich, ähnlich wie der Moderator, in Schablonensätze. „Tragischer Einzelfall“, „Wir sind fassungslos.“ „Wir alle suchen nach Antworten.“
Auch bei den Zuschauern auf Twitter kommt das nicht gut an.
21.49 Uhr. Jauch und Kratky diskutieren Details, etwa Krankheitsvermerke in der Akte von Piloten, „die zu verschiedenen Folgen und Handlungen Anlass gaben“. Was das heißen soll? Rätselhaft.
Dann wendet sich Jauch denjenigen zu, über die sich tatsächlich etwas sagen lässt, das über Spekulation hinaus geht: Die Hinterbliebenen der 150 Menschen, die am Dienstag in den französischen Alpen den Tod fanden. Sabine Rau, Notfallpsychologin der Stadt Düsseldorf, beschreibt, wie unterschiedlich Menschen auf eine solche Nachricht reagieren. Fassungslos, Emotional, Betäubt.
Mehr Fürsorge statt strengere Kontrolle?
Auch Wolfgang Huber, evangelischer Theologe, ehemaliger Ratsvorsitzender der EKD, hat schon viele Menschen in ihrer Trauer begleitet. Er bekommt an diesem Abend immer wieder Applaus. Oft mit ganz einfachen Vorschlägen: Wenn die Toten nicht begraben werden können, könne man zum Beispiel Namensschilder aufstellen, an denen die Trauernden beim Begräbnis vorbei gehen, sich vergewissern und Abschied nehmen könnten.
Germanwings-AbsturzEin weiterer Vorschlag Hubers zielt auf die Piloten. Nach allem, was man bisher weiß, ist anzunehmen, dass der Co-Pilot den Crash mit Absicht herbei führte, dass er vielleicht mit Depressionen kämpfte. Statt noch mehr Kontrolle und häufiger psychologischer Gutachten müsse es den Fluglinien um Fürsorge für ihre wichtigen Angestellten gehen, fordert Huber. Weder Kratky noch Lufthansa-Flugpsychologe Reiner Kemmler scheinen damit viel anfangen zu können. Bei den Zuschauern kommt Hubers Plädoyer gut an.
Moderator Jauch kommt nicht in Fahrt
Der Moderator dagegen kommt an diesem Sonntag nicht in Fahrt. Es gehe ihm nicht darum, die Schuldfrage zu stellen, betont Jauch – und bohrt dann hier ebenso hartnäckig wie unbeholfen nach. Auch bei der Frage nach den letzten Sekunden an Bord. Wann dort Panik ausgebrochen ist, wie die Passagiere merkten, dass etwas nicht stimmt – zu all diesen Fragen will sich der Vertreter der Lufthansa nicht äußern.
Für die Hinterbliebenen des Flugs dürfte die Sendung auch so schwer zu ertragen gewesen sein. Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum, der als Rechtsanwalt Opfer verschiedener Flugzeugkatastrophen vertreten hatte, sagte, ihr Trauma werde durch die Bilder aus Frankreich und die immer neuen Informationen immer wieder gesteigert. Erst wussten sie nur, dass ihre Lieben in dem Unglücksflieger ums Leben kamen – kurz darauf mussten sie erfahren, dass die Ermittler davon ausgehen, dass der Co-Pilot sie absichtlich mit in den Tod nahm.
Appell: Trauer der Angehörigen respektieren
„Die Frage des Vorsatzes spielt eine große Rolle“, sagte auch Notfallpsychologin Rau. Während ein technischer Defekt eher als „unvermeidbar“ akzeptiert würde, sei eine vorsätzlich handelnde Menschenhand schwerer zu verarbeiten.
Baum appellierte an die Journalisten, die Trauer der Angehörigen zu respektieren, sie nicht zu fotografieren oder ihnen zu nah zu treten. Auch so kämen Traumata zustande. Jauch ging auf diese Medienkritik nicht ein.
Auf Twitter wechselten sich derweil Mitgefühl mit den Angehörigen und Unzufriedenheit mit dem Moderator ab:
Doch all diese Argumente sind in den vergangenen Tagen immer wieder ausgetauscht worden. Erst gegen Ende der Sendung wurde es inhaltlich interessant. Denn natürlich haben auch Piloten mit Tod, Trennung und Depressionen zu kämpfen. Wann darf ein Pilot noch fliegen? Wo verläuft die Grenze zwischen einer schwierigen privaten Situation und psychischer Instabilität? Wer bestimmt das, wie findet man es heraus? Flugpsychologe Kemmler und Notfallpsychologin Rau hätten hier eine Argumente austauschen können, was durchaus neu und interessant hätte werde können. Doch Günther Jauch stellte lieber ausschweifende Fragen zu anderen Themen.
Erleichterung bei der Schalte zu den "Tagesthemen"
Erweiterter Suizid, ist dieser Begriff passend? Eigentlich nicht. Bei 149 völlig Unbekannten könne man kaum von einer „Erweiterung“ sprechen, darin wird sich die Runde einig. Dürfen die Ärzte, die den Co-Piloten behandelt haben, ihre Schweigepflicht brechen? Diese Frage interessiert den Journalisten Günther Jauch, der alles noch genauer wissen möchte. Seine Gäste können damit wenig anfangen. Wie viel Geld muss die Lufthansa nun zahlen? Ist ein Mann, der im Berufsleben steht, mehr Entschädigung wert als ein Säugling? Ja, hier gebe es unterschiedliche Bemessungsgrundlagen, oft ist in den vergangenen Tagen darüber berichtet worden. Dass es nun auch bei Jauch erwähnt wurde? Bringt wenig.
Um 22.44 schaltet Jauch ins Tagesthemen Studio, endlich. Dort sagt Caren Miosga das, was es an diesem Abend, fünf Tage nach dem Absturz, noch zu sagen gibt: Der Flugschreiber wird weiterhin gesucht. Viele Fragen werden erst geklärt sein, wenn er ausgewertet ist.
Eine Diskussionsrunde, die viel spekuliert und keinen Aspekt vertiefen kann, bringt zu diesem Zeitpunkt nichts.
Ermittlungen nach Airbus-Absturz