Ruhrgebiet. . Das Ruhrtal ein Idyll? Zeitgenossen zeichnen ein wenig schmeichelhaftes Bild vom Land zwischen Ruhr und Lippe vor der Industrialisierung.
Am Vorabend der Industrialisierung bestimmen Ackerbau und Viehzucht das Bild der Region des heutigen Ruhrgebiets. Doch selbst als landwirtschaftlicher Raum fällt der Landstrich an Ruhr, Lippe und dem Flüsschen Emscher kaum ins Gewicht. Fruchtbare Böden gibt es nur südlich der Ruhr. Die teils sandigen und wegen häufiger Überschwemmungen oft sumpfigen Böden im Norden sind dagegen wenig ertragreich.
„Das Leben der Menschen war von Mangel und Knappheit an Ressourcen sowie durch die Abhängigkeit von Ernteerträgen und Naturkatastrophen geprägt“, heißt es in einem Katalog zur Eröffnung des Essener Ruhr Museums über diese Zeit.
Eintönige Heidelandschaft an der Ruhr
Der Kern des heutigen Ruhrgebiets präsentierte sich den wenigen Bewohnern und den wohl noch weniger Besuchern als eher eintönige Heidelandschaft. Natürliche Wälder gab es nur vereinzelt, etwa auf den Ruhrhöhen und nördlich der Emscher.
Nur die Tierwelt war verhältnismäßig bunt. Im Raum Duisburg lebten Anfang des 19. Jahrhunderts Wölfe. Feldhasen, Feldhamster und Feldlerchen, um deren Existenz viele Menschen heute bangen, fanden noch lange ihren Lebensraum. Der letzte Biber an der Ruhr wurde erst 1877 erschlagen.
Reisebericht zeichnet Bild einer Einöde
Auch reisende Zeitgenossen ließen am kommenden industriellen Herz Kontinentaleuropas damals kein gutes Haar. Liest man die Berichte des französischen Revolutionsflüchtlings Pierre Hippolyte Léopold Paillot, könnten selbst eingefleischte Naturliebhaber dem Gedanken anheim fallen, etwas Besseres als die Industrialisierung mit all ihren Schattenseiten hätte dem Ruhrgebiet gar nicht passieren können.
„Wir fuhren wieder durch diese Heide, die einem nur Wehmut einflößen konnte“, schrieb Paillot im Jahr 1794. Der Franzose will nördlich der Ruhr „nur vereinzelte, absterbende Bäume so wie Sandhaufen, die vom Winde weggeweht wurden“ erblickt haben. Weiter schreibt er: „Selten sahen wir ein paar Strohhütten, von armen Bauern bewohnt, die das Gras mähten, um daraus ihr Feuer zu machen. Wir fuhren auf die Höhen hinauf in der Hoffnung, einen angenehmeren Horizont zu entdecken. Doch es blieb, wie es war. So weit das Auge reichen konnte, war keine Spur von Ackerbau zu sehen.“ Paillot kommt zu einem niederschmetternden Resümee: „Das war wirklich eine Einöde.“
Nur kleine Ortschaften an der Ruhr
Offenbar hatten die kleinen Ackerbürgerstädte, die sich vor allem entlang der alten Handelsstraße des Hellwegs reihten, ebenfalls nur wenig Reize zu bieten. Gegenüber der Blütezeit der Hanse im Mittelalter war ihre wirtschaftliche Bedeutung deutlich zurückgegangen.
Dortmund, das 1802 in den Wirren der napoleonischen Eroberungskriege den Status als freie Reichstadt verlor, war Anfang des 19. Jahrhunderts ein verarmtes Städtchen und mit gerade einmal 4000 Einwohnern noch die größte Siedlung. In Essen, laut Paillot eine „trostlose Stadt“, lebten nicht mehr Menschen als im Jahr 1580. Gemessen an Elberfeld (12.000), Düsseldorf (14.000), Münster (15.000) und vor allem Köln (knapp 50.000) waren die Ortschaften an der Ruhr zu jener Zeit also wahre Winzlinge.
Eine nennenswerte Gewerbewirtschaft gab es mit Ausnahme der Eisenhütten im Oberhausener Raum und der traditionsreichen Essener Gewehr- und Pistolenmanufaktur nicht. Und trotz des seit Jahrhunderten praktizierten Kohle-Abbaus im Ruhrtal ahnte damals noch niemand, welche Triebkraft der größte Bodenschatz der Region einmal entfalten würde. Abbau und Transport des schwarzen Goldes gestalteten sich bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ausgesprochen mühsam. Die Industrialisierung kam deshalb zunächst nur schleppend voran. Bezeichnenderweise aus einem – Ironie der Geschichte – sehr aktuell klingenden Grund: marode Verkehrswege.