Gaza/Tel Aviv. Die Hoffnung währte nicht lange: Eine auf drei Tage angelegte humanitäre Feuerpause haben militante Palästinenser am Freitag zur Entführung eines israelischen Soldaten genutzt. Israel erklärte die Waffenruhe für gescheitert, erneut brachen heftige Kämpfe aus. Die Zahl der Opfer steigt und steigt.
Militante Palästinenser haben im Gazastreifen einen israelischen Soldaten verschleppt. "Terroristen griffen israelische Streitkräfte an, die an einem Tunnel im Einsatz waren. Ein Soldat wurde vermutlich entführt", teilte der israelische Militärsprecher Peter Lerner am Freitag über Twitter mit. Die Aktion erfolgte anderthalb Stunden nach Beginn einer dreitägigen humanitären Waffenruhe, die die Vereinten Nationen (UN) und die USA zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas vermittelt hatten.
Es handele sich um den 23-jährigen Leutnant Hadar Goldin, teilte die Armee weiter mit. Ein ranghohes Hamas-Mitglied sagte der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu, der Soldat sei vor Inkrafttreten der Waffenruhe um 7 Uhr (MESZ) gefangen genommen worden. Daher habe Israel nicht das Recht, die Waffenruhe zu brechen, so Mussa Abu Marsuk weiter. Israel bestreitet das. Nach Angaben des Militärs ist Goldin erst um 8.30 Uhr (MESZ) verschleppt worden.
Neue heftige Kämpfe nahe Rafah
Die Entführung des Soldaten nahe der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen löste neue heftige Kämpfe aus. Wie der Sprecher des palästinensischen Gesundheitsministeriums, Aschraf al-Kidra, mitteilte, wurden bei israelischen Angriffen 35 Palästinenser getötet und mehr als 100 verletzt. Militante aus dem Gazastreifen feuerten mindestens acht Geschosse auf Israel ab. Drei wurden von der Raketenabwehr abgefangen, die anderen landeten auf freiem Feld.
Israel erklärte die in der Nacht zuvor vereinbarte Waffenruhe im Anschluss an die Verschleppung für gescheitert. Der israelische Militärrepräsentant General Joav Mordechai habe den UN-Vermittler Robert Serry darüber informiert, gab das Regierungspresseamt bekannt. "Israel wird die Aggression der Hamas und anderer Terrororganisationen im Gazastreifen mit harten Maßnahmen beantworten", sagte Mordechai dem UN-Diplomaten.
Waffenruhe hätte 72 Stunden dauern sollen
In einer Erklärung, die Serry am Freitag in New York veröffentlichte, verwies der UN-Vermittler auf die mutmaßliche Verantwortung der palästinensischen Seite. "Die UN ist nicht in der Lage, diese Berichte unabhängig zu bestätigen. Sollten sie sich aber bewahrheiten, würde dies eine schwere Verletzung des humanitären Waffenstillstands darstellen", hieß es.
Die nunmehr zusammengebrochene Waffenruhe war von den UN und den USA vermittelt worden. Sie trat am Freitag 7 Uhr (MESZ) in Kraft und hätte 72 Stunden dauern sollen. Sie hätte den Menschen "eine dringend notwendige Entlastung von der Gewalt" bringen sollen, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und US-Außenminister John Kerry.
Mehr als 1400 Menschen im Gazastreifen gestorben
Zugleich hätten in Ägypten sofortige Verhandlungen über eine dauerhafte Waffenruhe beginnen sollen. Nach palästinensischen Medienberichten sagte allerdings Kairo die Gespräche unter Berufung auf die gescheiterte Feuerpause vorerst wieder ab.
Die Zahl der seit dem 8. Juli getöteten Menschen im Gazastreifen ist nach Angaben des Gesundheitsministeriums dort inzwischen mit rund 1460 höher als bei der letzten Bodenoffensive Israels 2009. Etwa 8400 Palästinenser seien verletzt worden, teilte der palästinensische Sprecher Al-Kidra am Morgen mit.
Lage der Zivilbevölkerung katastrophal
Nach palästinensischen Angaben sind es die höchsten Verluste auf der eigenen Seite seit der israelischen Eroberung des Gazastreifens im Sechstagekrieg von 1967. Nach israelischen Informationen handelt es sich bei mehreren hundert der palästinensischen Todesopfer um militante Kämpfer. Den Palästinensern zufolge sind mehr als zwei Drittel der Opfer Zivilisten.
Auf israelischer Seite wurden im Gaza-Krieg 61 Soldaten und drei Zivilisten getötet. Mehrere hundert Menschen wurden verletzt. Laut UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA ist die Lage der Zivilbevölkerung in dem blockierten und dicht besiedelten Küstengebiet katastrophal. Rund 230 000 Palästinenser hätten Schutz in UN-Einrichtungen gesucht. UNRWA-Leiter Pierre Krähenbühl bestätigte, dass in drei leerstehenden UNRWA-Einrichtungen Raketen gefunden worden seien. "Wir verurteilen das und haben sofort alle Seiten informiert. Wir dulden keinerlei Waffen in unseren Einrichtungen." (dpa)