Essen. “Warum blieben die Mörder von zehn Menschen lange unentdeckt?“ Dieser Frage möchte der NDR in einer Dokumentation zu den NSU-Morden nachgehen. Vor Prozess gegen Beate Zschäpe und die Komplizen ein gutes Vorhaben. Aber es misslingt. Macher konzentrieren sich zu sehr auf Gefühle der Opfer-Angehörigen.

Bald startet der Prozess gegen Beate Zschäpe und ihre Komplizen im Fall der NSU-Morde. Der NDR drehte eine Dokumentation, um der Frage nachzugehen: "Warum blieben die Mörder von zehn Menschen so lange unentdeckt?" Aber anstatt auf die Hintergründe einzugehen, setzt die Doku vornehmlich auf die Gefühle der Angehörigen der Opfer. Bis am Ende die Frage der Sendung völlig vergessen ist.

„45 Minuten – Die Nazi-Morde“ lautet der vielversprechende Titel der Dokumentation. Eine dreiviertel Stunde lang versucht sich die NDR-Redaktion an einem Thema, das seit einem knappen Jahrzehnt Schlagzeilen macht.

NDR kratzt hochemotionales Thema nur am Rande an

Wer steckt hinter der Frau mit dem gelangweilten Blick, den der Zuschauer aus den Nachrichten kennt? Ein Thema, das bewegt. Ein Thema, das die Dokumentation aber leider nur oberflächlich ankratzt.

Bilder von der Insel Fehmarn flimmern über den Bildschirm. Sie zeigen Beate Zschäpe beim Aerobic in einer Gruppe mit anderen Frauen. Dann ein Schwenk in ein Zwickauer Wohnviertel. Hier lebte sie mit ihren Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt. Sie gehören alle dem rechtsextremen "Nationalsozialistischen Untergrund" an. Eine Nachbarin kommt zu Wort, sie habe Beate Zschäpe immer als Schwester angesehen. Die Morde würden nichts an dem Bild ändern, das sie von ihrer „liebevollen“ Nachbarin hat.

Zuschauer verliert nach 15 Minuten den Roten Faden

Der rechte Terror der NSUDie unterschwellige Botschaft, die später in dem Kurzfilm immer deutlicher wird: Sie findet es gar nicht so schlimm, was Beate Zschäpe getan hat. Bestreitet die Taten sogar. An einem Punkt, an dem der Zuschauer beginnen könnte, zu verstehen, warum das Trio so lange unentdeckt blieb, ändert sich die Szenerie.

Anstatt genauer auf die Hintergründe, in denen Zschäpe und ihre Komplizen lebten, einzugehen, wendet sich die Doku den Opfern zu. Wichtig und absolut notwendig. Schließlich sind sie und ihre Angehörigen die Leidtragenden. Dennoch verliert der Zuschauer nach der ersten Viertelstunde den roten Faden.

Emotionen sind zu inszeniert

Da nutzt es auch nichts, dass immer wieder ein Wohnwagen eingeblendet wird, der durch das ganze Land fährt. Symbolisch soll so die Deutschland-Tour des Trios aufgezeigt werden. Unnötig und völlig fehl am Platz wirkt diese Inszenierung. Der Zuschauer denkt bei solchen Bildern eher an eine Reise-Doku als an Terrorismus.

Wenn nun wenigstens die Emotionen der Verluste der Angehörigen authentisch wären. Fehlanzeige. Mit dramatischer Musik unterlegt der NDR die Interviews mit den Kindern und Frauen der Opfer. Und verwirkt sich so die Chance auf wirkliche Gefühle. Denn nun scheinen die Tränen in den Augen von Kerim Simsek, der seinen Vater verlor, inszeniert.

Nur die Wut gegen Polizei ist authentisch

Der Zuschauer könnte meinen, er sehe gerade eine "Scripted Reality" eines Privatsenders anstatt einer ernstgemeinten Dokumentation. Das einzig authentische ist die Wut gegen die Behörden und die Polizei.

Diese zieht sich durch die gesamte Dokumentation. Natürlich spielen die Fehler der Polizei während der Ermittlungen eine Rolle. Denn auch sie haben dazu beigetragen, dass Zschäpe und die Männer unentdeckt bleiben. So sehen es zumindest die Angehörigen.

Angehörige stehen zu sehr im Mittelpunkt

Aber nach 20 Minuten Filmmaterial entsteht immer mehr der Eindruck, dass die eigentliche Frage gar nicht aufgeklärt werden soll. Viel mehr ist es eine Plattform für die Angehörigen, sich Gehör zu verschaffen. Interessant, gar keine Frage. Aber hinsichtlich des eigentlichen Themas viel zu sehr im Mittelpunkt.

Nach 45 Minuten sind viele Fragen beantwortet. Wie es die Nachbarn empfunden haben, welche Gefühle die Angehörigen in sich tragen und ob die Polizei viel eher einen rechtsextremen Hintergrund hätte vermuten sollen. Nur nicht die wichtigste, die nach dem „Warum?“, bleibt ohne Antwort.