Essen. Auf der Zielgeraden zur NRW-Landtagswahl 2012 sind die Spitzenkandidaten auch in den sozialen Online-Netzwerken unterwegs. Mehr - oder weniger erfolgreich: Bei Kraft menschelt's weniger als sonst, Lindner bleibt stromlinienförmig und Ober-Pirat Joachim Paul hat bei Facebook keine Lust auf Facebook.

Endspurt im Wahlkampf für die NRW-Landtagswahl 2012: Die Spitzenkandidaten reisen durchs Land, gehen an keinem Mikro vorbei und halten ihre Gesichter den Kameras gern hin. Möglichst viele Wählerinnen und Wähler wollen sie erreichen, keiner kann mehr auf die sozialen Online-Netzwerke verzichten. Wer das richtig machen will, muss Zeit investieren - das wahrscheinlich knappste Gut bei Politikern im Wahlkampf. So professionell der auch gemacht sein mag - bei allen Kandidaten ist, was den Gebrauch von Social Media angeht, noch relativ viel Luft nach oben.

Zum Beispiel bei Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: „Meine Facebook-Seite wird von meinem Team mitbetreut“, steht unter Info; Kraft selbst kürzelt ihre Posts mit HK, der Rest mit „Team Kraft“, jedenfalls meistens. Im Wahlkampf gibt’s relativ viele „jetzt sind wir hier, bald fahren wir nach da“-Statusmeldungen, Videos aus dem Wahlkampf-Bus, Links zur Berichterstattung über die SPD-Ministerpräsidentin. Hier menschelt’s weniger als sonst bei Kraft, und der wenige Wochen alte Twitter-Account bietet eigenlich nichts anderes als der bei Facebook. Da hat sie mehr als 15.000 Likes – zahlenmäßig Spitze bei den Spitzenkandidaten für die NRW-Landtagswahl am Sonntag. Bei Google+ ist Kraft zu finden, es gibt einen Lebenslauf und ein paar Fotos, aber keine Posts.

Ober-Pirat Joachim Paul hat sich bei Facebook getarnt

Wer Joachim Paul bei Facebook sucht, findet ihn nicht. Jedenfalls nicht als Joachim Paul. Das passt ins Profil, denn 54-jährige Neusser Biophysiker sind vielleicht nicht Hauptklientel von Mark Zuckerberg. Aber Joachim Paul ist auch Pirat, Spitzenkandidat dazu, und wer Wahlkampf macht, muss doch auch... genau, bei Facebook sein. Ist Paul auch, als „Nick Haflinger“ mit schickem Iro-Avatar. Nur nutzen will er’s nicht so richtig, schließlich ist er, richtig, Pirat. Paul hat ein paar Links zu Webseiten und Artikeln, Einträgen in seinem Blog und anderen Seiten gepostet, ansonsten informiert er: „I don't want Anfragen von Kalendern oder Risk Faction“, „Ich nutze keine Like-Buttons ...“ und vor allem: „Was ich gerade mache, geht Gesichtsbuch irgendwie nix an“.

Bei Google+ ist „Nick Haflinger“ aktiver, verrät auch mehr über seine wahre Identität: Offenbar vertraut der Medienpädagoge, der seit 1996 seine Internet-Seite "Vordenker" betreibt, Google mehr als Facebook, was seine Daten angeht. Von Twitter kann der Pirat die Finger nicht lassen. Das hat ganz offensichtlich weniger mit Selbstdarstellung zu tun als mit dem Austausch mit anderen Twitterern und ist weit weniger aufs Image abgestimmt als bei den Kollegen Spitzenkandidaten, die ebenfalls twittern.

CDU-Mann Norbert Röttgen hat offenbar keine Zeit für Facebook

Norbert Röttgen zählt nicht dazu. Der CDU-Spitzenkandidat hat aber ein Facebook-Profil. Das bespielt er nicht selbst, oder er spricht von sich als Norbert Röttgen, ist ja auch nicht ganz auszuschließen. Aber unwahrscheinlich, obwohl die Posts ähnlich unnahbar wirken wie der 46-Jährige. Auf Facebook hat Röttgen ein paar Tage vor der Wahl 4004 Likes - ziemlich wenig für die Größe seiner Partei, ein paar mehr werden es auf den Wahlzetteln wohl schon werden.

Sylvia Löhrmann hat keine Likes, sie hat noch Freunde: Die 55-Jährige hat ein Facebook-Profil als Privatperson, und sie postet offenbar selbst für ihre rund 3700 Freunde. Das sind hauptsächlich Links zur Wahlkampf-Berichterstattung und Interviews mit der 55-Jährigen, aber gern mal mit lockeren Kommentaren. Auf die Timeline hat die Schulministerin noch nicht umgeschaltet, klassisch-nüchterner Facebook-Look bei der Spitzenkandidatin der Grünen, die wie viele Kolleginnen und Kollegen nur selten Privates durchschimmern lässt. Bei Twitter und Google+ ist Löhrmann nicht zu finden.

Christian Lindner teilt schrägen FDP-Rap mit 10.000 Fans

Komplett geschäftsmäßig gibt sich FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner auf Facebook. Er postet Slogans, Links zu Artikeln und Videos – Wahlkampf eben, so unpersönlich formuliert, dass man nicht mal raten könnte, ob der 33-Jährige ausschließlich selbst facebookt oder es seinem Team überlässt. Lindner hält die private Seite seines Politiker-Daseins sehr privat, auch bei Facebook. Das Schrägste im stromlinienförmigen Auftritt ist der Wahlkampf-Rap „Hallo NRW“ von Jaice (mit gelber Trainingsjacke, der Kollege in einer blauen), den Lindner mit seinen gut 10.000 Fans teilt. Der sei, steht unterm Video auf Youtube, unabhängig von der FDP entstanden – was man ihm nicht anmerkt. Bei Twitter das selbe Bild: Die Posts sind nahezu deckungsgleich, nur manchmal reagiert der FDP-Spitzenkandidat, wenn er angetwittert wird. Ein Google+-Profil scheint Lindner sich zu sparen.

Handgemachter Facebook-Auftritt von Linke-Kandidatin Schwabedissen

Sehr handgemacht sieht der Facebook-Auftritt von Katharina Schwabedissen aus. Die Politikerin Schwabedissen ist bei Facebook, deshalb wohl auch erst seit Ende März. Status-Updates gibt’s mit Wahlkampf-Programm, Links zu Livestreams von Interviews und Diskussionen und Parolen. Wer ein Bild von der Person Katharina Schwabedissen bekommen will, muss länger suchen. Sie regt sich nicht nur über die Politik der anderen auf, sondern auch über Fehler in Tatort-Drehbüchern, und verbringt den Tag der Arbeit mit der Familie.

Von der Wahlkampf-Postkarte, die Schwabedissen als Foto gepostet hat, erfährt man mehr über die Spitzenkandidatin der Linken als von ihrem Facebook-Profil – oder aus ihren Posts. Als Fotos teilt sie auch mal unvorteilhafte Bilder von FDP-Politikern, unter Umständen sogar drei Mal. Ein bisschen lustig: Auch Schwabedissen vertut sich, wenn sie den Namen von Linken-Vizechefin Sahra Wagenknecht schreibt.