Essen. Es war das Thema des Tages: Der Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff. Den kaute auch die Talkrunde bei Günther Jauch noch einmal durch. Erleichtert, aber auch ein bisschen ratlos diskutierten die Gäste darüber, wie es mit dem höchsten Amt Deutschlands weitergehen könnte.

Darüber, dass der Rücktritt Christians Wulffs vom Amt des Bundespräsidenten nötig war, waren sich die Talkgäste bei Günther Jauch gestern einig. Die Wortwahl seiner Abschiedsrede sorgte aber doch für gespaltene Gemüter und offensichtlich einige Verwirrung.

Einen Gast vorzustellen, der gar nicht da war - das war wohl auch für einen erfahrenen Fernsehmoderator wie Günther Jauch eine Premiere. Anstatt in das Gesicht des Verfassungsrechtlers Hans Herbert von Arnim blickte der TV-Konsument am Ende der Vorstellungsrunde auf eine braune Stuhllehne. Herr von Arnims Flug habe sich verspätet, erklärte Jauch. Die restlichen Darsteller seiner Talkrunde zum Rücktritt Christians Wulffs standen allerdings schon in ihren Startlöchern.

Wulff-Rücktritt lässt viele ratlos zurück

Etwas ratlos hatte der Jetzt-nicht-mehr-Bundespräsident Christian Wulff die deutsche Öffentlichkeit zurückgelassen. Kein Schuldbekenntnis, keine Reue, keinen moralischen Fehltritt hatte Wulff am Morgen geäußert. Es ging in dieser Stunde also um die großen Tugenden des Menschen: Ehre und Scham, Mut und Feigheit, Wahrheit und Lüge. Und nicht zuletzt darum, wer demnächst das Schloss Bellevue bewohnen wird. Da blieb auch Jauchs Talkgästen nichts anderes übrig, als sich in ihre eingeübten Rollen zu fügen.

Dirk Rossmann, Gründer der gleichnamigen Drogeriekette, Unternehmer und Vertrauter Wulffs wirkte dabei wie ein Ritter, der seinen König weiter verteidigt, auch wenn dieser längst gefallen ist. Er sei zwar erleichtert, dass Wulff zurückgetreten sei, allein schon wegen seiner Gesundheit („Männer um die 50 sind herzinfarktgefährdet, er könnte auch ein Magengeschwür kriegen.“). Allerdings sei dies das Resultat einer ungerechtfertigten Medienhetze auf seinen alten Freund. Die positiven Seiten seiner Amtszeit hingegen hätten die Medien viel zu wenig beachtet, sondern sich lieber auf Wulffs Fehltritte gestürzt. Und auch die arme Königin (gespielt von Bettina Wulff) sei viel zu oft im Visier der Presse gewesen. So nicht, findet Rossmann: „Es ist nicht die Aufgabe der Medien, jeder Mücke in den Popo zu gucken!“

Claudia Roth vermisst Selbstkritik bei Wulff

Nachdem der König seine Krone niedergelegt hat, grinst die Herrscherin des verfeindeten Königreichs an diesem Abend wie ein Honigkuchenpferd. Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Grünen, giftete schon den ganzen Tag gegen Wulffs schmähliche Rücktrittsrede und war sogar um 22 Uhr abends noch voll in Fahrt. „Der Rücktritt war definitiv überfällig“, stellte sie sofort fest. Es sei erschütternd gewesen, wie wenig selbstkritisch Christian Wulff dabei gewesen sei. Und das Amt des Bundespräsidenten sei jetzt sowieso beschädigt. Der nächste König – äh, Bundespräsident – müsse auf jeden Fall allen Parteien zusprechen. Da sieht nicht nur Claudia Roth die Gefahr, dass die Bundestagswahl indirekt schon in 30 Tagen beginnt, wenn jede Partei ihren Favoriten ins höchste Amt heben will. Der frühere Kandidat Joachim Gauck scheidet darum für die Grünen-Vorsitzende als Nachfolger Wulffs aus.

Die potenziellen Nachfolger Wulffs

Joachim Gauck - hohes Ansehen über alle Parteien hinweg

Der studierte Theologe Joachim Gauck war Bürgerrechtler in der DDR und saß in der letzten, der einzigen frei gewählten DDR-Volkskammer. Der 61-jährige Rostocker leitete zehn Jahre lang die Stasi-Unterlagenbehörde und machte sich als Publizist einen Namen. Seine Kandidatur für SPD und Grüne für das Präsidentenamt 2010 brachte ihm über die Parteigrenzen hinweg hohes Ansehen ein.

Norbert Lammert - Querdenker im Bundestag

Bundestagspräsident Norbert Lammert gilt in der CDU als unabhängiger und manchmal unbequemer Kopf. Der 63-jährige promovierte Sozialwissenschaftler aus Bochum wird als geschliffener und oft humoriger Redner geschätzt. Bereits 2010 wurde ihm ein persönliches Interesse an dem Präsidentenamt nachgesagt.

Katrin Göring-Eckardt - Kandidatin mit kirchlichem Hintergrund

Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt aus Thüringen genießt als langjährige Vizepräsidentin des Bundestags parteiübergreifend Respekt. Die 45-Jährige war beim Umbruch 1989 in DDR als Bürgerrechtlerin aktiv und ist Gründungsmitglied von Demokratie jetzt und Bündnis 90. Erstmals wurde die studierte Theologin 1998 in den Bundestag gewählt, ihre Schwerpunkte sind die Sozial- und Familienpolitik. 2009 wurde die Mutter von zwei Kindern zur Präses der Synode der Evangelischen Kirche gewählt.

Wolfgang Schäuble - das Urgestein der Union

Wolfgang Schäuble ist Urgestein der CDU und hat langjährige Erfahrung in Partei- und Ministerämter. Er war einst der aussichtsreiche und hoch gehandelte Nachfolger Helmut Kohls im Kanzleramt - was dieser allerdings verhinderte. Der promovierte Jurist aus Freiburg wird im Oktober 70 Jahre alt. Seit 2009 ist Schäuble Bundesfinanzminister.

Ursula von der Leyen - ehrgeizig, erfolgreich, unangepasst

Die Niedersächsin Ursula von der Leyen gilt als ehrgeizig und zielstrebig. Dabei scheut die 53-jährige Ärztin auch nicht den Konflikt mit der Union und Kabinettskollegen, wie ihre Positionen zu Betreuungsgeld und Frauenquote zeigen. Im Frühjahr 2010 kokettierte sie noch mit der Rolle als mögliche Kandidatin - wurde jedoch von Merkel ausgebremst.

Klaus Töpfer - der internationale Umweltschützer

Auch der Name des international anerkannten Umweltpolitikers Klaus Töpfer ist wieder im Rennen. Der gebürtige Schlesier hatte für die CDU bereits zahlreiche Partei- und Regierungsämter innegehabt, als er die Bundespolitik 1998 gegen den Posten als Chef des UN-Umweltprogramms UNEP tauschte. Im vergangenen Jahr leitete er die Ethikkommission, die Empfehlungen zum Atomausstieg erarbeitete. Er wäre möglicherweise akzeptabel im Lager von Koalition und Opposition, mit 73 Jahren aber auch ein Kandidat in Rentenalter.

Thomas de Maizière - Merkels Geheimwaffe

Verteidigungsminister Thomas de Maizière gilt als Merkels geheime Reserve und deshalb eigentlich als unabkömmlich in der Bundesregierung. Der promovierte 57-jährige Jurist aus Bonn kann auf jahrelange Erfahrung in Landes- und in der Bundesregierung für die CDU zurückblicken.

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Ginge es nach Bild-Redakteur und Dauertalker Nikolaus Blome, wäre Ex-Bundesumweltminister Klaus Töpfer ein geeigneter Nachfolger Wulffs. So richtig zu berühren schienen den Journalisten die Ereignisse aber nicht. Mit einer unergründlichen, kühlen Miene blickte er in die Runde. In unserer Mittelalter-Posse kann man ihm wohl keine andere Rolle zuweisen als die des (Scharf-)Richters. Denn sein Blatt war an dem Sturz Wulffs nicht unwesentlich beteiligt. Medienhetze oder Kontrolle der Mächtigen? Dazu äußerte sich Blome nicht, orakelte nur: „Es sind schon Leute für deutlich weniger zurückgetreten.“

"Wulff ist nicht an den Medien gescheitert, sondern an sich selbst"

Zum Beispiel Günther Beckstein (CSU), ehemaliger Ministerpräsident Bayerns. Er trat 2008 von diesem Amt zurück, nachdem die CSU die schlimmste Wahlschlappe seit 1954 hatte einstecken müssen. Beckstein, einem Fürst im Ruhestand gleich, konnte seinem Rücktritt auch positive Seiten abgewinnen, etwa den entspannteren Blick in die Zeitung: „Es war schön, nicht jeden Tag angegriffen zu werden.“ Da kann sich Christian Wulff ja – auch im Hinblick auf seine Gesundheit (siehe oben) – auf etwas freuen. Ganz zu schweigen von seinem Ehrensold: 100 Prozent seines Gehalts, Fahrer und Sekretäre inbegriffen, erklärte Verfassungsrechtler von Arnim. Das „Leben danach“ wird also nicht gerade ungemütlich.

Aber zurück ins Mittelalter, wo man die Könige noch mit Katapulten und Mistgabeln, und nicht mit Schlagzeilen und der Staatsanwaltschaft stürzte. Während sich der treue Ritter, der Richter und die feindselige Königin noch zankten, sah man am Horizont zwei Reiter dahergaloppieren: die beiden Weisen aus dem Morgenland, in diesem Fall Hans Herbert von Arnim und Anwalt und FDP-Mitglied Gerhart Baum. Verfassungsrechtler von Arnim, der zunächst nur der Ankündigung nach anwesend war, präsentierte sich dabei als ebenso detaillierter wie lautstarker Kenner der Materie. Baum war mehr für die druckreifen Sprüche zuständig. „Wulff ist nicht an den Medien gescheitert, sondern an sich selbst“, beispielsweise. Auch die Suche nach einem Nachfolger fasste er sehr treffend zusammen: „Das Amt muss zum ersten Mal gerettet werden!“ Und dafür eigne sich ein Spitzenpolitiker weniger, ein Quereinsteiger mit Politikerfahrung wohl mehr. Wen genau er damit meint, konnte Gerhart Baum allerdings nicht sagen.

Haben wir noch jemanden vergessen? Ach ja, Moderator Günther Jauch. Vielleicht nennen wir ihn besser Stichwortgeber. Am mittelalterlichen Hof hätte er wahrscheinlich einen bunten Hut mit Glöckchen getragen. Aber sowas kommt nicht so gut in den Öffentlich-Rechtlichen. Allerhöchstens zur nächsten Papstwahl.