Berlin.. Als er, begleitet von Gattin Bettina, sein Amt niederlegt, schlägt Wulff noch einmal den Bogen zu seiner Vereidigung, spricht von seiner „Herzensangelegenheit“, der Integration. Dafür wird er von dem Chef der Linken, Klaus Ernst, noch einmal gelobt.

Am Ende, so möchte Christian Wulff sich nun wohl verstanden wissen, haben wohl übermächtige Kräfte gesiegt. „Die Entwicklung der vergangenen Tage und Wochen“ – was auch immer sie ausgelöst hat; der Schwund des Vertrauens, das er nur noch von einer Mehrheit, nicht mehr der „breiten Mehrheit“ der Bürger erfährt – weiß der Himmel, warum.

Vier Minuten steht er da vor der Fensterfront im großen Saal des Bellevue. Ein Mann, dem man glauben soll, dass er nicht begreift, wie ihm geschieht. In seinem Rücken zum letzten Mal die Präsidentenstandarte. Gegenüber ein Dutzend Kameras, eine Tribüne, auf der eine Hundertschaft Berichterstatter in Stellung gegangen ist. Zu seiner Linken, die Hände auf dem Rücken verschränkt, den Hauch eines Lächelns, den sie beim Hereinkommen schon getragen hat, im Gesicht wie festgefroren, Gattin Bettina.

Kurz vor dem Auftritt des Präsidentenpaares hat ein Bediensteter die Mappe mit dem Redetext auf dem Pult abgelegt. Immer wieder wandern jetzt, während Wulff spricht, seine Hände zu diesen Blättern. Das Papier mal auf die eine, dann auf die andere Seite schiebend. Unablässig ordnend, und derweil heftet sich der Blick halt suchend an die Zeilen.

Erst Donnerstagabend ist Wulff von einer dreitägigen Italien-Reise zurückgekehrt. In der nächsten Woche hat er eine große Rede zum Gedenken der Opfer des rechtsextremen Terrors halten wollen, im klassizistischen Dekor des Konzerthauses am Gendarmenmarkt. Für Monatsende steht eine Afrika-Reise auf dem Programm, doch irgendein Schicksal muss es anders gewollt haben. Die Erkenntnis, dass seine „Wirkungsmöglichkeiten nachhaltig beeinträchtigt sind“, sie hat ihn, folgt man seinen Worten, jäh getroffen. Das Amt des Bundespräsidenten wahrzunehmen, es ist ihm „nicht mehr möglich“.

„Herzensanliegen“

Was hier geschieht, zum zweiten Mal bereits in weniger als zwei Jahren, das haben sich die Verfasser des Grundgesetzes kaum ausmalen können – den Rücktritt eines Staatsoberhaupts. Für Horst Köhler genügten damals drei, vier dürre Sätze.

Wulff hinterlässt eine programmatische Erklärung. Spricht von seinem „Herzensanliegen, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu stärken“. Davon, dass alle, die in Deutschland leben, sich zugehörig fühlen sollen, „ganz egal, welche Wurzeln sie haben“. Er schlägt so mit seiner letzten Rede im Amt den Bogen zu seiner allerersten, als er bei der Vereidigung im Bundestag die „bunte Republik Deutschland“ beschwor. Einen Begriff, der bis dahin vor allem den Grünen etwas bedeutete.

Als Modernisierer in Sachen Integration, der auch der eigenen Partei neue Wege wies, hatte ja schon der Ministerpräsident Wulff eine Rolle gesucht und gefunden. Spätestens, als er mit der Ernennung der ersten türkischstämmigen Ministerin in der Geschichte der Republik bundesweit Furore machte. Den scheidenden Präsidenten würdigt dafür jetzt sogar die Linke: „Es war sehr mutig von ihm, zu sagen, dass der Islam zu Deutschland gehört“, lobt ihn Parteichef Klaus Ernst kurz nach dem Rücktritt.

Dass im übrigen ausgerechnet eine Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des „Anfangsverdachts“ der Vorteilsnahme ermittelt, weil er sich von guten Freunden hat beschenken lassen: Wer sich der bescheidenen Anfänge des Oppositionsführers in Niedersachsen entsinnt, mag das kaum glauben. Es ist die ironische Pointe im Leben eines Politikers, dem sonst nicht viel geschenkt wurde.

Ruch der Unscheinbarkeit

Erst im dritten Anlauf, als endlich die Umstände günstig waren, gelang ihm in Hannover der Griff nach dem Regierungsamt in Niedersachsen. Drei nervenzehrende Wahlgänge kostete es, Präsident zu werden.

Der Ruch der Unscheinbarkeit hing ihm lange an. Die Kehrseite dessen, was man auch grundanständige Solidität nennen könnte; er hat dieses Renommee gerne gepflegt. Ein „Alphatier“ wie die Kanzlerin sei er nicht, ließ er einst ungefragt wissen, ihm fehle der Wille zur Macht.

„Ich habe Fehler gemacht, war aber immer aufrichtig“, sagt er jetzt. Dass die Ermittlungen der Justiz zu seiner „vollständigen Entlastung“ führen werden, steht für ihn außer Frage. Da geht einer, der nicht begreifen mag, wie ihm geschieht.

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