Essen. . Mit speziellen Broschüren wird mancherorts versucht, Flüchtlingen den Karneval zu erklären. Zwischen den Zeilen liest sich auch Unbehagen heraus.

Man muss wohl nicht aus Syrien kommen, um Karnevalisten seltsam zu finden. Und wenn in knapp zwei Wochen hundertausende Jecken an Rhein und Ruhr die Straßen bevölkern, gibt es auch Deutsche, die zum Flüchtling werden. Mancherorts im Rheinland versuchen Karnevalisten denen, die die Not jüngst zu uns geführt hat, nun den Karneval nahe zu bringen. Ob das tatsächlich nötig ist?

Es steckt wohl einiges an Unbehagen dahinter, das etwa die Stadt Mönchengladbach bewogen hat, zusammen mit dem örtlichen Karnevalsverband MGV dem schon im vergangenen Jahr verbreiteten und mehrsprachig übersetzten Info-Flyer zum Karneval in der Stadt diesmal ein Merkblatt beizulegen - auch auf Arabisch. Überschrift: "Gemeinsam und sicher Karneval feiern". Feierstimmung wird das Blatt aber wohl kaum erzeugen.

Karnevals-Ratgeber als Deutschland-Knigge

Es werde im Karneval "mehr Alkohol getrunken" als sonst, aber die Regeln seien dennoch einzuhalten, mahnt das Blatt. Schunkeln und Bützen sind "in der Regel nicht sexuell gemeint". Dann folgt eine Art Deutschland-Knigge: "Homosexualität (sei hier) normal und wird offen gezeigt", wird behauptet. Und dass bei Mann und Frau "nicht jede Beziehung in eine Ehe mündet" halten die Autoren auch wichtig, um es zu erwähnen. Mit dem letzten Absatz dürfte der Flyer manchen Flüchtlingen gar vor den Kopf stoßen, weil er einen Kausalzusammenhang herstellt, der wohl arg pauschalisiert: Straftaten "wie sie zu Silvester in Köln stattgefunden haben, werden nicht toleriert und bestraft".

KarnevalIn allen Flüchtlingsheimen will MGV-Vorstand Bernd Gothe seine Flyer in Kürze verteilen,mit Mönchengladbachs Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners und dem Prinzenpaar, "in vollem Ornat". Gothe verweist beim Text auf die Stadt, das Rechts- und Sozial-Dezernat sei verantwortlich. Er selbst verbindet mit den geplanten Besuchen bei Flüchtlingen notwendige, wie er meint, Aufklärung und will vor allem, "die Leute zum Feiern mit uns einladen".

Bützen ist ein heikles Thema gegenüber Flüchtlingen

Das will auch das Festkomitee Kölner Karneval mit einer bunten und durch viele Fotos angereicherten Broschüre. "Sei dabei und feiere mit uns!" heißt es am Schluss. Zuvor werden Leser in Du-Form angesprochen und auf nette Art an die Hand genommen. Worum es geht im Karneval, wann im Jahr und wo in Köln man ihn feiern kann, was es kostet und wann es endet, erklärt die zweisprachige Broschüre unter anderem, die auch übersetzt auf Arabisch in allen Flüchtlingsunterkünften ausgelegt wird und in vielen städtischen Behörden und im Internet zu finden ist. Als heikle Themen spricht man auch Alkohol, Schunkeln und Bützen an - was in der arabischen Übersetzung etwas ausführlicher erklärt wird als im deutschen Original.

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Für Abdulmuhsin Das sind dies in der Tat die Themen, bei denen das hiesige Winterbrauchtum manchen aus dem arabischen Raum befremden wird. "Küssen in der Öffentlichkeit ist in vielen arabischen Ländern ein Tabu", erklärt der 27-Jährige, der wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Arabistik der Universität Münster ist. So etwas wie Karneval kennt man dort so gut wie nicht. "Es gibt etwa in Syrien auch Christen und in einer Stadt dort soll es sogar Karneval geben" sagt Das. Flyer für Flüchtlinge hält er für hilfreich. Ob Flüchtlinge beim Karneval mitmachen, hängt aus seiner Sicht davon ab, "wie neugierig sie auf ihre neue Umgebung sind und wie stark sie ihre alten Werte aufrechterhalten wollen".

"Da sollte man als Frau vielleicht vorsichtiger sein"

Huda Zein, promovierte Soziologin am Orientalischen Seminar der Universität Köln glaubt, dass die meisten der Flüchtlinge dem Straßenkarneval mit Neugier begegnen dürften. "Das ist für viele wirklich etwas Neues und sie wollen sich hier ja einleben". Sie sieht den Karneval "als eine gute Gelegenheit, aus sich heraus zu und auf nette Art mit Fremden in Kontakt zu kommen". Von Info-Flyern hält Zein aber wenig, "wer beobachten kann, merkt, was das für ein Fest ist", glaubt sie. Mahnungen, das Schunkeln und Bützen nicht falsch zu verstehen, hält Zein jedoch für angebracht: "Männer aus dem arabischen Raum, die noch neu hier sind und diese Bräuche nicht kennen, könnten es als Flirten verstehen", meint sie. "Da sollte man als Frau vielleicht vorsichtiger sein". Aber das würden ja auch manche deutschen Männer zu Karneval missverstehen, sagt Zein.

"Der Karneval erklärt sich in vielem von selbst", sagt Gabriele Dafft, Volkskundlerin beim Landschaftsverband Rheinland (LVR). Aber auch für manche, die Karneval feiern, kann es interessant sein, die Hintergründe dieses Brauches zu erfahren, meint sie. Dafft hebt vor allem "das Integrative" vom Karneval hervor; "man wird sich bewusst, dass man in einer Gemeinschaft lebt. Die "Auszeit temporärer Regeln" und die "Ventilfunktion der Narrenfreiheit" sagten zudem vieles aus über Normen und Regeln bei uns, gerade weil man sich in gewissem Rahmen mal über sie hinwegsetzen kann.

Unterdessen hat auch die Stadt Bonn eine Karnevals-Broschüre für Flüchtlinge veröffentlicht. Auch die Bezirksregierung Arnsberg, zuständig für die zurzeit gut 30.000 Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen, den Zentralen Unterkünften und Notunterkünften für Flüchtlinge in NRW, will ein eigens erstelltes Infoblatt verteilen lassen. Auch in Düsseldorf will man vom Büro der Flüchtlingsbeauftragten aus Flüchtlinge auf die Karnevalszeit vorbereiten. Im Düsseldorfer Comitee Carneval wiederum hatte man das Thema zumindest auf der Tagesordnung. "Wir haben es aber nicht gestemmt", sagt Sprecher Hans-Peter Suchand: "Wegen der extrem kurzen Session". Die geht diesmal nur bis 10. Februar. Das dürften dann auch die Flüchtlinge ob mit oder ohne Karnevals-Broschüre merken: Am Aschermittwoch ist alles vorbei!