Witten. Die Tierheime sind überlastet. Nun haben sie eine Petition gestartet, auch die Wittener haben unterschrieben. Sie sind am Rande ihrer Kräfte.
Die Tierheime schlagen Alarm: „Wir brechen unter der Last der in Not geratenen Tiere zusammen“, schreiben sie in einem Brandbrief an die Bundesregierung. Die Zustände seien nicht mehr tragbar. Auch das Tierheim Witten hat sich der Petition angeschlossen. „Wir sind absolut am Rand unserer Kräfte“, klagt Wiebke Blomberg, die erste Vorsitzende des Vereins. „Es muss sich etwas ändern.“
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Aber was? Das ist mit wenigen Worten gar nicht zu sagen. „Es gibt nicht ein Problem, es gibt viele“, betont Tierheim-Leiterin Kirsten Simon. Sie ist dankbar, dass die „katastrophale Situation“ durch den Brandbrief, der inzwischen schon mehr als 30.000 Unterzeichner hat, endlich in den Blick der Öffentlichkeit gerät. „Wir sagen schon lange, dass wir vor einem riesigen Problem stehen“, betont die 46-Jährige.
Wittener Tierschützer könne jeden Punkt unterschreiben
In dem Schreiben an Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir werden unter anderem der unkontrollierte Handel mit Hunden, der übermäßige Import aus dem Ausland, die mangelnde Sachkunde der Hundehalter, der Fachkräftemangel in Tierheimen und die veralteten Finanzierungsmodelle für Tierheime angeprangert. Die Wittener Tierschützer können jeden Punkt davon unterschreiben, denn sie bekommen die Folgen täglich bei ihrer Arbeit zu spüren.
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Mit rund 50 Hunden ist das Wittener Tierheim an der Wetterstraße voll belegt. Und mehr als das: Es gibt eine lange Liste von Hunden, die von ihren Haltern lieber heute als morgen abgegeben werden würden, weil die mit den Tieren nicht klarkommen. „Aus ganz Deutschland bekommen wir Anfragen“, so Simon. Oftmals unter Tränen würden die Anrufer betteln, den Hund abgeben zu dürfen. „Aber wir haben einfach keine Kapazitäten frei.“
Alle Zwinger im Wittener Tierheim sind belegt
Denn alle Zwinger sind belegt, die allermeisten von ihnen mit Problemhunden – also Tieren, die nicht leicht zu halten sind. „Das größte Problem sehe ich darin, dass sich Menschen ein Tier anschaffen, ohne darüber nachzudenken, was die Rasse bedeutet“, sagt die 46-Jährige. Auch Züchter würden ihren Kunden wahllos Welpen verkaufen, ohne an die Folgen zu denken.
So landet der Herdenschutzhund in der Innenstadtwohnung, der Malinois bei Menschen ohne jede Hundeerfahrung oder der Jagdhund bei Haltern, die eigentlich nur etwas zum Kuscheln suchen. Der nächste Akt im Drama sei dann häufig die Hundeschule, so Simon. Den Haltern mangele es an Wissen, den Trainern aber leider auch oft an Erfahrung. Und komme es schließlich zu Aggressionen oder gar Beißvorfällen, dann werde das Tier abgegeben oder ausgesetzt. Beides bedeutet meist: Endstation Tierheim.
Coco, Jari und Darco suchen ein neues Zuhause
Ein Teufelskreis, den die Wittener Tierschützer derzeit häufiger als früher erleben. „Da bekommen wir jetzt die Corona-Folgen zu spüren“, so Wiebke Blomberg. Die Zahl der ein- bis dreijährigen Tiere in den Zwingern sei deutlich angewachsen. Da ist etwa Coco, der zweijährige Stafford-Mix, der illegal angeschafft und dann ausgesetzt worden ist. „Eine ganz liebe“, so Blomberg. Aber eben ein „Listenhund“, also einer, der als gefährlich eingestuft wird. Oder Jari, der dreijährige Boxer-Doggen-Mischling, dessen Besitzer mit der Rasse nicht klarkamen. Und auch Darco, der Malinois, der ausgerissen ist und auf einem Spielplatz dann Kind und Oma gebissen hat. Blomberg: „Bei uns zeigt er sich unproblematisch.“
Was nicht heißt, dass nichts passieren kann. „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen sich hier jeden Tag der Gefahr aus“, betont die erste Vorsitzende. Die Arbeit sei anstrengend und oft auch belastend. Nicht nur deshalb fordert sie höhere Zuschüsse für die Tierheime, die als Vereine organisiert sind und meist nur Mindestlohn zahlen können. Doch damit seien kaum Fachkräfte zu gewinnen.
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Auch über illegale Zuchten, Internet-Handel und die Hundemafia, die mit Importen nach Deutschland das große Geld verdient, verlieren die beiden Wittenerinnen deutliche Worte. Allerdings: Tierheim-Leiterin Kirsten Simon rät, bei der Frage nach den Importen lieber genau hinzusehen. Sie selbst sei nicht generell dagegen, (Tierschutz-)Hunde nach Deutschland zu holen. „Bei diesem Thema sollte man nicht pauschalisieren.“