Witten. Die Wittener Kinderärzte schlagen Alarm: Nicht etwa, weil die Schweinegrippe bedrohlicher geworden wäre, sondern weil ihre Praxen unter dem Ansturm der besorgten Eltern zusammenzubrechen drohen und der Alltagsbetrieb nicht mehr gewährleistet werden kann.
Die Praxen der Wittener Kinderärzte drohen unter dem Ansturm besorgter Eltern zusammenzubrechen. Durch die hohe Nachfrage nach Impfungen gegen die Schweinegrippe, kann der Alltagsbetrieb nicht mehr gewährleistet werden. „Ich habe Angst, dass wir deswegen einen Notfall nicht mehr schnell genug mitbekommen”, so Dr. Theodora Polichronidou, Sprecherin der Kinderärzte im Ennepe-Ruhr-Kreis. Dauernd erreichten sie Faxe und Anrufe von Kollegen, die erschöpft um Hilfe bitten. „Die Situation ist so seit zwei Wochen. Drei Wochen halten wir nicht mehr durch.”
Behandelt wird nach den Symptomen
Meist wollten die Eltern Abstriche bei ihren Kindern machen lassen, um die Neue Grippe auszuschließen. Sie gäben an, dass die Schulen dies verlangten. Doch dies sei nicht der Fall, so die Kinderärztin. Abstriche würden von den Kassen nur bei Risikopatienten, also Herz-, Nieren-, oder Stoffwechselkranken, Asthmatikern und Immungeschwächten erlaubt. Notwendig seien sie bei ansonsten gesunden Kindern nicht. „Behandelt wird wie bei jeder anderen Grippe auch, nämlich symptomatisch.”
„Diese Hysterie, die im Moment herrscht, entbehrt jeder Grundlage. Es sind so viele Fehlinformationen und Missverständnisse unterwegs”, sagt Polichronidou. Manche wollten tatsächlich kein Schweinefleisch mehr essen aus Angst vor der Krankheit. Ob des Ansturms und der damit verbundenen Mehrarbeit habe eine Arzthelferin in ihrer Praxis sogar gekündigt.
Polichronidou hat alle Vorsorgetermine absagen lassen, um der Masse an Grippeverdachtsfällen noch Herr zu werden. Doch längst nicht jeder habe die Neue Grippe. An einem typischen Tag seien von 140 kleinen Patienten mit Husten und Fieber 20 mit H1N1 infiziert. „Die Symptome sind gut erkennbar, drei bis fünf Tage hohes Fieber, ein knallroter Rachen, eingefallene, gerötete Augen.” Die Temperatur steige plötzlich, „die Kinder werden wie vom Blitz getroffen krank.”
Bis jetzt verlaufe die Krankheit nach ihrer Einschätzung harmlos, beruhigt die Kinderärztin. Abwimmeln will sie die Eltern in Panik nicht, aber sie betont: „Ohne Fieber gibt es keine Grippe und unter 38 Grad ist es kein Fieber.”
Wittener Kinderärzte werden impfen
Trotz der milden Verläufe werden ab nächster Woche auch Kinderärzte in Witten gegen die Neue Grippe impfen. Hildegard Pahl, Dr. Martin Lenz, Lucyna Psonka und Dr. Polichronidou selbst haben sich nach einem Aufruf des Bundesverbandes der Kinderärzte dazu bereit erklärt und Impfstoff geordert. Empfehlen würde Polichronidou die Impfung nach derzeitigem Wissensstand vor allem Risikopatienten. Bei allen anderen müssten die Eltern letztendlich selbst entscheiden, ob sie impfen lassen. Die Anfragen der besorgten Eltern wollen die Kinderärzte mit Gruppenvorträgen in ihren Praxen kanalisieren. Nächste Woche soll es auch eine gemeinsame größere Veranstaltung geben.
Was die Furcht vor Ansteckung angeht, rät Polichronidou Kranken dazu, ins Taschentuch zu husten und dieses dann wegzuschmeißen. „Wenn sie nicht selbst krank sind, können sie auch die Grippe nicht weitergeben.”
Auch in den Arztpraxen für Erwachsene und beim Kreis laufen die Telefone heiß. Allgemeine Anfragen könne man nicht mehr beantworten, so Kreissprecher Ingo Niemann. Er bittet die Bürger, solche Informationen auf den Internetseiten rki.de und neuegrippe.nrw.de und beim Bürgertelefon des Landes NRW einzuholen (8-18 Uhr, 0180/100 210, 9 Ct./Min. aus dem Festnetz). Eine Liste der impfenden Ärzte gibt es unter www.en-kreis.de.
Erste Engpässe sind absehbar
Die Nachfrage nach Impfungen habe deutlich zugenommen, erste Engpässe bei den Impfdosen zeichneten sich ab. Seit Juli seien mehr als 430 Bürger im Kreis (108 in Witten) an der Neuen Grippe erkrankt, besonders im Alter zwischen sechs und 25 Jahren. Auch eine Klasse der Kämpen-schule wurde laut Kreis geschlossen, weil sieben Kinder die Schweinegrippe haben.