Witten. In Witten verlassen viele Schüler die Schule ohne Abschluss. Bei der VHS lässt er sich nachholen. Über ihre Motivation sprechen drei Absolventen.
Als Jacqueline Kubitzki den Flur des Wittener Wideyzentrums betritt, wirkt sie gelöst. Er ist mit goldenen Girlanden geschmückt, in einem Nebenraum steht der Sekt schon bereit. In wenigen Minuten wird die 22-Jährige hier ihr Abschlusszeugnis entgegennehmen. Den Realschulabschluss hat sie dann auch endlich offiziell in der Tasche – für die junge Frau keine Selbstverständlichkeit. Denn es ist noch nicht allzu lange her, da herrschte bei ihr große Ratlosigkeit, wie es mit der Schule weitergehen soll.
Die damals 18-jährige Wittenerin hatte mit psychischen Problemen zu kämpfen. Sie entschied deshalb, sich auf ihre Gesundheit zu konzentrieren und die Schule abzubrechen – ohne Abschluss. Dass das kein Dauerzustand bleiben soll, stand für sie jedoch auch da schon fest. „Ich wollte nur pausieren und den Abschluss auf jeden Fall nachholen“, sagt sie. Doch wie – und vor allem wo? Ein Besuch bei der Arbeitsagentur brachte die Lösung. Jacqueline beschloss, ihren Hauptschulabschluss bei der VHS in Witten auf dem zweiten Bildungsweg nachzuholen.
Sie wählte den Hauptschulabschluss nach der Jahrgangsstufe zehn – mit Unterricht im Abendbereich. „Ich dachte, dass mir das vielleicht eher liegt, habe dann aber schnell festgestellt, dass ich dadurch nicht sonderlich produktiv war“, erinnert sie sich. Bei der VHS allerdings kein Problem. Jacqueline konnte in eine Klasse wechseln, die am Vormittag unterrichtet wurde. Da lief es für die junge Frau besser.
Wittenerin will ihr Abitur machen und anschließend studieren
Denn auf den Hauptschulabschluss folgte in diesem Jahr auch gleich noch der Realschulabschluss – inklusive Qualifikation. Das bedeutet, dass Jacqueline Kubitzki nun sogar das Abitur nachholen kann. „Ich wechsele dafür zum neuen Schuljahr auf ein Berufskolleg in Witten“, sagt sie stolz. Für die Zeit nach der Schule hat sie ebenfalls schon konkrete Pläne. „Nach dem Abitur möchte ich Soziale Arbeit studieren, um danach mit Jugendlichen arbeiten zu können.“
Alleine ausgedacht hat sie sich das nicht. Denn die VHS unterstützt Schülerinnen wie Jaqueline auch bei der Berufswahl. Das geschieht in einer Art Projektgruppe. „Da bekommt jeder Schüler einen Mentor, der einem dabei hilft, den richtigen Beruf zu finden und einem auch Tipps für Bewerbungen gibt“, sagt sie.
Jacqueline ist sich sicher, dass der zweite Bildungsweg für sie der ideale war. „Die Regelschulen sind meist größer, da geht vieles unter, was an der VHS nicht der Fall ist.“ Das sehen ihre Mitschüler Marc Julian (28) und Florian Kruppa (24) ähnlich. Während Florian noch nicht festgelegt ist, ob er weiter zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen möchte, hat sich Marc Julian schon entschieden, wie es für ihn nach dem Realschulabschluss weitergehen soll.
Sein Sohn hat Marc Julian zum Umdenken gebracht
Er will eine kaufmännische Ausbildung anfangen. Die macht er nicht nur für sich, sondern auch für seinen kleinen Sohn. „Als ich vor anderthalb Jahren Vater geworden bin, hat mir das die Augen geöffnet“, erinnert er sich. Davor habe er die Schule kaum ernst genommen, wollte Youtuber oder Influencer werden. „Man unterschätzt aber, wie hart es ist, damit Geld zu verdienen. Durch meinen Sohn habe ich dann erkannt, dass ich nicht länger meinem Traum hinterherhängen, sondern etwas erreichen will.“
Auch er holte also an der VHS in Witten erst seinen Hauptschul- und dann noch seinen Realschulabschluss nach. Jetzt ist er froh, es geschafft zu haben. „Ich bin mit 28 ja auch schon etwas älter. Da will man jetzt auch endlich mit den Freunden, die längst Geld verdienen, mithalten und ihnen im Restaurant auch mal das Essen ausgeben“, fügt er mit einem Schmunzeln hinzu.
Florian Kruppa schätzt an der VHS die vertraute Atmosphäre
Einer, der nicht nur die VHS, sondern auch viele weitere Schulen kennengelernt hat, ist Florian Kruppa. Das liegt vor allem an seinen vielen Umzügen. Wie oft seine Familie schon den Wohnort gewechselt hat, weiß der 24-Jährige schon nicht mehr ganz genau. „Aber 15-mal bestimmt.“ So kam es, dass er den Abschluss an einer Regelschule nicht schaffte. Auch an der VHS hatte er es vor drei Jahren schon mal erfolglos versucht. Doch er ließ sich davon nicht unterkriegen und versuchte es erneut – diesmal mit Erfolg.
Das liegt für ihn auch an der vertrauten Atmosphäre zwischen Lehrern und Schülern. „Das ist nicht mit einer Regelschule vergleichbar. Hier konnte man immer mit einem Lehrer sprechen, weil die Klassen viel kleiner und die Hierarchien flach waren.“ Lange Zeit zum Ausruhen hat der 24-Jährige aber nicht. „Ich habe in den nächsten Tagen und Wochen mehrere Vorstellungsgespräche für einen Ausbildungsplatz.“ Doch für einen Moment kann auch er den gelungenen Schulabschluss genießen – und gemeinsam mit seinen Mitschülern auf den Erfolg anstoßen. Der Sekt steht ja schon bereit.
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