Witten. 109 Jahre – das schaffen nicht viele. In Witten genau genommen niemand, außer Grete Fastenrath. Das musste natürlich gebührend gefeiert werden.
Es ist ein besonderer Tag im Altenzentrum am Schwesternpark Feierabendhäuser, denn Grete Fastenrath hat Geburtstag. Die Seniorin ist nicht nur die betagteste Bewohnerin des Pflegeheims, sondern mit 109 Jahren auch die älteste Wittenerin. Zur Feier des Tages gab es eine kleine Fete – die Leitung des Hauses spendierte alkoholfreien Sekt und gemeinsam mit den beiden Großnichten wurde auf das Geburtstagskind angestoßen. Auch Bürgermeister Lars König ließ es sich nicht nehmen, der ältesten Wittenerin persönlich zu gratulieren.
Älteste Wittenerin feiert Geburtstag mit dem Bürgermeister
Der Clou: Auch das Stadtoberhaupt hat an diesem Tag Geburtstag. „Wir haben letztes Jahr schon zusammen gefeiert und daraufhin beschlossen, dass wir das zur Tradition werden lassen“, sagt Lars König, der an diesem Tag 52 Jahre alt wird – und damit nicht mal halb so alt ist wie das andere Geburtstagskind. Natürlich ist der Bürgermeister nicht mit leeren Händen gekommen. Es gibt Wein und Pralinen und eine Kopie der „Hagener Zeitung“ vom 19. Januar 1914.
Denn weil die gebürtige Hagenerin ein Sonntagskind ist, erschien an ihrem Geburtstag, dem 18. Januar 1914, keine Zeitung. So muss die Ausgabe vom darauffolgenden Montag herhalten. Grete Fastenrath nimmt die Seiten freudig entgegen und hält das Papier, das in altdeutscher Schrift bedruckt ist, ganz dicht vor ihre Augen. Sie versucht, etwas zu entziffern. „Das ist zu klein geschrieben, das geht leider nicht mehr“, sagt sie dann, etwas enttäuscht. Lars König beruhigt sie: „Ich muss für so was auch mittlerweile die Brille aufsetzen.“
109-Jährige überstand zwei Weltkriege, Corona und mehr
Grete Fastenrath ist leidenschaftliche Zeitungsleserin, das bestätigt Sozialbereich-Leiterin Manuela Söhnchen: „Sie liest jeden Tag.“ Wissbegier, Neugierde und Offenheit scheinen wohl ein Schlüssel für die Langlebigkeit von „Tante Grete“ zu sein, vermutet ihre Großnichte Brigitte Ruttkowski.
Grete Fastenrath hat einiges erlebt: Sie war ein Baby, während der Erste Weltkrieg tobte, am Geburtstag des Kaisers trug sie als Dreijährige eine Schürze und Schleifen im Haar, sie überstand den Zweiten Weltkrieg, es kamen der Wiederaufbau, der Kalte Krieg, der Mauerfall. Zum Lebensabend gab es dann noch die Pandemie obendrauf. Ihren 107. Geburtstag verbrachte die Seniorin in Isolation, weil Corona sie erwischte. Aber sie lebt noch, sie lacht noch und macht weiter – auch nach einer zweiten Covid-Infektion Ende 2022, die sie symptomfrei innerhalb von einer Woche abhakte, so als wäre nie etwas gewesen.
Wittenerin zog erst mit 106 ins Seniorenheim
Die ältesten Wittenerinnen und Wittener
Stand heute sind in Witten 25 Menschen 100 Jahre oder älter. Das sind vier Männer und neben Grete Fastenrath 20 weitere Frauen. Zehn dieser Menschen sind genau 100, die übrigen 15 sind zwischen 101 und 109 Jahre alt. 109 Jahre alt ist aktuell nur eine einzige Person in Witten: Grete Fastenrath.
Die älteste Person Deutschlands ist nach aktuellem Stand 113 Jahre alt. Die älteste Frau der Welt, die französische Ordensschwester André, ist vor wenigen Tagen im Alter von 118 Jahren gestorben. Nun ist die älteste Person der Welt vermutlich die in Spanien lebende Maria Branyas Morera. Sie ist 115 Jahre alt.
Auch privat, abseits der geschichtlichen Ereignisse des 20. und 21. Jahrhunderts, hat Grete Fastenrath viel erlebt. Die alleinstehende, kinderlose Frau hat immer gearbeitet, zum Beispiel als Sekretärin für den Stromversorger Elektromarkt, heute Mark-E. „Die guckten nicht schlecht, als Tante Grete mit 99 Jahren noch gemeinsam mit mir zum Ehemaligen-Treffen kam“, erinnert sich Großnichte Brigitte Ruttkowski. Mit 70 Jahren noch zog Tante Grete von Hagen in den Kurort Bad Meinberg – zum Wandern und Seele baumeln lassen. Erst mit 90 zog sie in eine seniorengerechtere Wohnung nach Lütgendortmund, um näher bei ihren Großnichten zu sein, bis es sie 16 Jahre später ins Wittener Altenzentrum verschlug.
Es sei außergewöhnlich, so alt zu werden, sagt Heim-Leiter Andreas Vincke. Auch wenn Menschen mittlerweile im Schnitt eine höhere Lebenserwartung haben. „Wir hatten es noch nie, dass jemand mit 106 Jahren zu uns kommt – geschweige denn mit 109 immer noch hier sitzt“, erzählt Andreas Vincke. Sollte Grete Fastenrath tatsächlich noch die 110 knacken, erwartet das Altenzentrum im nächsten Jahr hoher Besuch, weiß Lars König: „Bei so einer Zahl kommt dann der Minister – oder der Bundespräsident – vorbei.“ Der Bürgermeister wird an seinem Geburtstag nächstes Jahr natürlich auch wieder zum Gratulieren kommen – immerhin hat das gemeinsame Feiern mit der ältesten Wittenerin Tradition.