Witten/Hattingen. Hohe Kosten, Personalsorgen: Das Fleischer-Handwerk in Witten stirbt aus. Metzger Mirco Wohlfahrt entwickelt eine Idee gegen den Abwärtstrend.
Hinter Deutschlands Fleischtheken wachsen die Sorgen. Bislang führte der Personalmangel dazu, dass immer mehr inhabergeführte Metzgereien schließen mussten. Nun treibt die Energiekrise die Kosten hoch, gleichzeitig kaufen die Deutschen weniger hochwertiges und damit teureres Fleisch. „Unser Gewürzlieferant glaubt, dass jede zweite Metzgerei in der Region im nächsten Jahr dichtmachen wird“, sagt Mirco Wohlfahrt. Der junge Fleischermeister aus Witten stemmt sich gegen den Abwärtstrend.
Mit dem Fokus auf qualitativ hochwertiges und nachhaltiges Fleisch betreibt der 31-Jährige zwei Ladenlokale im Hammertal und in Bochum. 2014 hat er sich selbstständig gemacht. „Dass junge Leute in unserer Branche von vorn anfangen, gibt es so gut wie gar nicht mehr“, sagt Uwe Absch, Geschäftsführer der Fleischer-Innung Ruhr. Meist schließen Metzgereien aus Altersgründen, wenn überhaupt übernehmen die Kinder den elterlichen Betrieb: Das Handwerk stirbt aus.
Lehre beim Vater des Schulfreunds Emil Kern
Mirco Wohlfahrt bildet also eine Ausnahme. Der Hammertaler kam als Kind über seinen Schulfreund Roland auf den (Wurst-)Geschmack, dessen Vater Emil die Fleischerei Kern gehörte. Den Alltag im Schlachthaus und in der Wurstküche kannte er von klein auf. 2007 fing er dann die Lehre an, schloss als Jahrgangsbester ab und legte 2013 mit dem Meisterbrief nach. 2015 und 2016 aber verbrachte er in Äthiopien und half beim Aufbau von Schlachthöfen.
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2014 starb Emil Kern. Mirco Wohlfahrt übernahm seinen einstigen Lehrbetrieb und investierte. Unter anderem eröffnet er 2016 ein schickes Ladenlokal in der einstigen Postfiliale gegenüber dem Rewe-Markt, 2021 dann eine Zweigstelle an der Brenscheder Straße in Bochum, wo sich auch die Produktion befindet. „90 Prozent aller Produkte, die wir verkaufen, stelle ich selbst her“, sagt Wohlfahrt, der den Betrieb zusammen mit seiner Lebensgefährtin Janine Hummerich führt. Sie ist im Hammertal übrigens auch keine Unbekannte, hat sie doch das Reisebüro ihres Vaters übernommen.
Aktivschwein-Konzept vom Bundeslandwirtschaftsministerium geehrt
Ihre beste Idee aber, glauben die beiden, war es, nur noch „Aktivschwein“ anzubieten. Die Tiere stammen von einem Bauernhof in Melle bei Osnabrück. Landwirtin Gabriele Mörixmann wurde inzwischen vom Bundeslandwirtschaftsministerium für ihr Konzept der alternativen Schweinezucht geehrt: Die Tiere haben Platz, können sich frei bewegen, fressen, baden oder ins Außengehege gehen. Sie führen ein selbstbestimmtes und längeres Leben. „Es ist eine Mischung aus konventioneller Stallhaltung und bio“, erklärt Janine Hummerich. Nur an fünf Metzgereien in Deutschland werden die Aktivschweine verkauft. Mirco Wohlfahrt hat viele Konkurrenten hinter sich gelassen und den Zuschlag erhalten. Die Rinder, die er verarbeitet, stammen vom Kneibelhof im nahen Holthausen.
Kaum noch Wittener Metzgereien
Lediglich zwei Betriebe aus Witten sind bei der Fleischer-Innung Ruhr noch gelistet: Die Fleischerei Lassner (Inhaber Sven Westemeier) in Annen und „Sommer’s Wurst- und Schinkenspezialitäten“ mit Sitz an der Kreisstraße. Mit Otto Schluck, der 2018 in Rente ging und keinen Nachfolger fand, schloss eine der bekanntesten Innenstadt-Metzgereien.
In Witten haben freilich viele Metzgereien aus Nachbarstädten Filialen, die ebenfalls inhabergeführt sind. Drei Beispiele: Kruse in Herbede oder Dasenbrock in der Innenstadt haben ihren Mutterbetrieb in Bochum, die Fleischerei Schiemer hat eine Ladenlokal in Bommern, stammt aber aus Sprockhövel. Fleischprodukte verkaufen auch einige Hofläden, etwa Thiele in Bommern.
Die kurzen Lieferwege, ohne Zwischenhandel, erlauben es, dass Mirco Wohlfahrt Preissteigerungen nicht so hart treffen wie andere. Er muss nur so viele Tiere abnehmen, wie er auch verarbeiten kann. Und: Fürs Aktivschwein kommen Kunden auch mit weiteren Anfahrtswegen bis ins Hammertal. „Aber natürlich, auch wir mussten die Preise anheben.“ Ein Nackenbraten koste jetzt 14 bis 15 Euro das Kilo. Macht er sich Sorgen? „Nein.“ Denn mit der Strategie, nachhaltiges Fleisch zu verkaufen, liegt er ja im Trend. Was aber fehlt, ist das Personal, vor allem im Verkauf.
Aber die stromintensive Produktion erhöht die Kosten. „Wir sind ein energieintensives Handwerk. Ein Cutter, die Rauchanlage oder Kühlung verbrauchen viel Strom, daran kann man nicht sparen“, sagt Uwe Absch. Auch wenn diese Kosten an die Kunden weitergegeben werden – noch kommen diese. „Aber sie kaufen gezielter ein. Nicht dass, was mich anlacht, sondern das, was ich tatsächlich brauche“, meint der Fleischereiobermeister. Auch Mirco Wohlfahrt spürt diese Kaufzurückhaltung. Er formuliert es so: „Am Ende des Monats ist mehr Hack.“