Witten. Bei der Suche nach dem richtigen Ausbildungsplatz spielen auch Eltern in Witten eine immer größere Rolle. Aber ist das wirklich gut für das Kind?

Junge Erwachsene auf der Zielgeraden zur Ausbildung: Auch kurz nach dem offiziellen Start des neuen Ausbildungsjahres ist das Rennen für einige Bewerber und Betriebe noch nicht gelaufen. Es gibt immer noch viele freie Stellen. Orientieren kann man sich im Vorfeld zum Beispiel auf Ausbildungsmessen, etwa der TalentTageRuhr. Nicht nur wissenshungrige Schülerinnen und Schüler gehören zur Zielgruppe, sondern immer öfter auch Eltern.

Überforderung bei Jugendlichen und Eltern

Ganz gezielt wendet sich zum Beispiel die Veranstaltungsreihe „ElternDays 2022“ an die Erziehungsberechtigten. Via Online-Schalte können Eltern verschiedene Unternehmen kennenlernen. „Uns ist es wichtig, dass auch sie durch unser Angebot abgeholt werden", sagt Nadja Weber von der „Stiftung TalentMetropole Ruhr“, die die TalentTageRuhr ausrichtet. „Wir sehen bei der größeren Vielfalt der Berufsangebote vielfach die Überforderung der Eltern." Man habe auch andere Projekte wie eine Eltern-Kind-Akademie ins Leben gerufen, um diesem Problem zu begegnen.

Stefan Banner von der Agentur Mark, die die „ElternDays 2022“ organisiert, beobachtet ein reges Interesse für solche Angebote. „Eltern finden das super. Schon im vergangenen Jahr haben wir gesehen, dass die Eltern bei solchen Formaten immer aktiver werden.“ So werde intensiv nach den Formalien und dem Ablauf einer Bewerbung gefragt. Auch die Karrierechancen und die Möglichkeiten zur innerbetrieblichen Weiterentwicklung würden die Eltern interessieren.

Elternhaus als Zielgruppe

Banner betont, wie wichtig es gerade für kleinere Betriebe sei, dass sie sich auch verstärkt online bei Eltern präsentieren können. So könne man über die Eltern mit den jungen Menschen in Kontakt kommen. Das bestätigt Arbeitsagentursprecher Ulrich Brauer. „Bisher gibt es ein großes Desinteresse an der dualen und der herkömmlichen Ausbildung. Der Fokus auf diese Berufszweige ist oft gering. Hier kann das Elternhaus viel verändern. Denn Studien belegen eindeutig, dass die erwachsenen Bezugspersonen einen sehr großen Einfluss auf die spätere Berufswahl haben.“

Als Eltern nicht zu viel machen

Doch handelt es sich bei Veranstaltungen wie den „ElternDays 2022“ um ein isoliertes Phänomen? Nein, meint Brauer. „Den Drang, für die eigenen Kinder die bestmögliche berufliche Zukunft zu ermöglichen, gab es schon immer. Nur mittlerweile gibt es immer mehr Angebote, die die Eltern abholen sollen. Auch wir als Bundesagentur bieten hier individuelle Beratung und weitere Unterstützung an.“

Kornelia Paucke, Wittener Kinder- und Jugendpsychiaterin, sieht diese Angebote allerdings kritisch. Grundsätzlich sei es zwar gut, wenn sich Eltern über Angebote und Besonderheiten hinsichtlich der Ausbildung ihrer Kinder informieren. „Wenn Eltern aber solche Angelegenheiten ohne einen ausgiebigen Dialog auf Augenhöhe mit ihren Kindern angehen, besteht die Gefahr, dass sie ihren Kindern die eigenen Vorstellungen überstülpen.“

Junge Menschen seien nach der Schule oft noch in einer Findungsphase, so Paucke. Sie benötigten Zeit und Raum für sich, um zu erkennen, wo der eigene Weg hingehen soll. „Da sollten die Eltern auch Umwege, also Umorientierungen oder auch das Scheitern der Kinder auf ihrem Weg in Kauf nehmen.“, rät die Expertin.