Witten. Als der Krieg begann, wollte eine in Witten lebende Russin Ukrainern helfen. Sie nahm eine junge Familie auf. So meistern sie nun den Alltag.

Tief schockiert war Ekaterina Wischmann, als der Präsident ihres Heimatlandes Russland den Befehl erteilte, das Nachbarland zu überfallen. Sie beschloss, betroffenen Menschen zu helfen, zumal ihre Eltern ursprünglich aus der Ukraine stammen.

Über Bekannte und Freunde kam der Kontakt nach Witten zustande

Gut drei Wochen sollte es nach Kriegsbeginn dauern, bis über eine private Vermittlung an einem späten Nachmittag plötzlich die 27-jährige Swetlana Sakhno vor ihrer Tür stand – an der Hand die fünfjährige Tochter Ksenia. An dem Tag war gerade ein Dutzend Kinder wieder aus dem Haus, die der Sohn der Familie Wischmann zum Geburtstag eingeladen hatte. Aber so unkompliziert wie die Gastgeberfamilie nun mal ist, nahm sie Mutter und Tochter auf, die froh waren, eine Bleibe gefunden zu haben.

Mutter und Tochter waren zehn Tage zuvor in Saporischschja im Südosten der Ukraine zu einer Flucht ins Ungewisse aufgebrochen. Die Kämpfe seien immer näher gerückt, erzählt Swetlana. Als ihr Mann den Militärdienst antreten musste, entschloss sie sich schweren Herzens, mit einer befreundeten Familie zu gehen. Der Kontakt nach Witten kam unterwegs zustande, über Bekannte und Freunde. Zwischenstationen ihrer Flucht waren Lwiw in der Westukraine und Polen.

In Witten mit ihren wenigen Habseligkeiten angekommen, konnten Mutter und Tochter die möblierte Einliegerwohnung der Wischmanns beziehen. Der Alltag in der neuen Welt verlangte allen Beteiligten einiges an Kraft und Kreativität ab. Gerade die Behördengänge erwiesen sich als aufwendig.

Sich bei der Stadt anmelden, Anträge auf Sozialhilfe stellen, Telefonkarten besorgen – Ekaterina Wischmann begleitete die Neuankömmlinge ins Rathaus. Doch ihr Beruf verlangt auch seinen Tribut, sie arbeitet für einen Pharmakonzern, ihr Mann ist selbstständiger Schreiner. Da sind die Zeitfenster eng und natürlich kann sie nicht immer dabei sein. Wenn es um Dolmetscherdienste geht, „haben wir allerdings eine Lösung gefunden, wie neulich beim Kinderarzt“, sagt Ekaterina Wischmann. Während des Gesprächs in der Praxis stellte ihr Gast aus der Ukraine das Handy auf laut „und ich konnte von zu Hause übersetzen“.

Ukrainerin erlebt ein Wechselbad der Gefühle

Nicht nur ihre Sprachkenntnisse haben sich als goldwert erwiesen. Die gebürtige Russin kam vor 17 Jahren aus beruflichen Gründen nach Deutschland und weiß, wie es ist, sich in einem fremden Land, dessen Sprache man nicht spricht, zurechtfinden zu müssen. „Der Vergleich“, so fügt sie an, „hat natürlich Grenzen. Die Umstände sind für Swetlana viel belastender.“

Das Wechselbad der Gefühle, das Ekaterina von damals noch kennt, durchlebt und durchleidet nun auch die junge Frau aus Saporischschja. Auf anfängliche Euphorie folgte bald Heimweh. Beim Gedanken an Angehörige, Freunde und erst recht ihren Mann muss sie mit den Tränen kämpfen. Sie telefoniert täglich mit ihm. Als Swetlana es eines Abends nicht mehr aushält und am liebsten gleich in den Zug steigen möchte, fleht ihr Mann sie an, in Deutschland zu bleiben. Sonst habe er Angst um sie und Tochter Ksenia.

Abendliche Gespräche über Politik und die alltägliche Dinge des Lebens

Die Kleine hat inzwischen in zwei Kindern der Familie Wischmann, vier und sieben Jahre alt, Freunde gefunden. Sie sind gern zusammen, wobei Ksenia auch viel außer Haus ist. Sie besucht das Treffen für Ukraine-Kinder im Gemeindehaus von Trinitatis und nimmt an einer Turngruppe teil. Darüber freut sich die Mutter sehr. Denn ihre Tochter ist dann mit anderen zusammen und auch ihr eigener Tagesablauf bekommt eine feste Struktur. Auch Swetlana Sakhno möchte Deutsch lernen und gern wieder in ihrem Beruf als Buchhalterin arbeiten. Wenn sie nur allein in der Wohnung bleibt, gerät sie schnell ins Grübeln.

Um so wohltuender sind die gemeinsamen Abende mit den Wischmanns. Sie sprechen über Politik und die Zukunft, aber auch Alltägliches. Ekaterina Wischmann übersetzt dabei für ihren Mann. Er versucht, sich in die Sprache hineinzufuchsen. Wenn es dann doch um die Kämpfe in der Ukraine gehen sollte, bezieht die Gastgeberin klare Position: „Das ist Putins Krieg und nicht der des russischen Volkes.“