Witten. Bank- und Sparkassenkunden mit zu viel Geld müssen unter Umständen mit Strafzinsen rechnen. Wie eine Wittenerin, die jetzt einen Anruf erhielt.
Susanne Schulze (Name geändert) ist empört. Jahrelang hat sie ihr mühsam Erspartes bei der Deutschen Bank angelegt, mittlerweile rund 100.000 Euro. Nun will ihr das Institut die Spareinlage zum 1. Januar kündigen.
Die Bank hatte sich bei der Kundin telefonisch gemeldet. „Geldmarktsparen“ nennt sich die Anlageform, die längst keine Zinsen mehr abwirft, an der Schulze aber festhält, um kurzfristig Geld zur Verfügung zu haben. Der Bank-Mitarbeiter begründete die geplante Kündigung damit, dass diese Spareinlage nicht mit einem „Verwahrentgelt“, sprich Negativzinsen, belegt werden könne. Die Bank werde das Geld auf das Girokonto der Kundin überweisen, auf das dann Negativzinsen fällig würden. Es sei denn, sie entscheide sich – nach einer Beratung – für ein anderes Produkt der Bank.
Die Wittenerin ist seit Jahrzehnten Kundin der Deutschen Bank und fühlt sich jetzt von dieser unter Druck gesetzt. Sie hat einen Beratungstermin vereinbart. Angeboten werden könnten ihr verschiedene Produkte, auf die kein Verwahrentgelt fällig werde, hat sie schon am Telefon erfahren. Möglich wären zum Beispiel Festgeldangebote anderer Geldinstitute, auch Immobilienfonds oder – je nach Risikobereitschaft – Aktien.
Susanne Schulze fragt sich, ob ihre Bank ihre Spareinlage überhaupt so einfach kündigen kann. „Ja, das kann sie – unter Einhaltung der Kündigungsfrist“, sagt David Riechmann, Finanzexperte der Verbraucherzentrale NRW. „Kontoverbindungen können vom Kunden, aber auch der Bank gekündigt werden.“ Es sei denn, es handele sich um Anlageprodukte mit einer vereinbarten Laufzeit oder zum Beispiel Festgeld. Beides könnten Geldinstitute nicht vor Ablauf der vereinbarten Laufzeit kündigen.
Deutsche Bank Witten schließt mit Kunden einen Verwahrentgeltvertrag
Wann und worauf „Strafzinsen“ überhaupt fällig werden, ist bei Banken und Sparkassen unterschiedlich. Daher lohne sich ein Vergleich, sagt Verbraucherschützer Riechmann. Er rät auch zu einer gesunden Skepsis, wenn Geldinstitute ihre Kunden zu Gesprächen einladen, um ihnen Produkte vorzustellen, mit denen sie Negativzinsen vermeiden können.
„Denn im Normalfall werden hierbei für Kunden auch Kosten anfallen – wie zum Beispiel Abschlussprovisionen oder Vertriebskosten“, sagt der Finanzexperte. Die Verbraucherzentralen bieten neutrale Geldanlageberatungen an. Riechmann: „Wir bekommen derzeit viele Anfragen zu Negativzinsen.“ Es gebe auch schon Klagen von Verbraucherzentralen gegen sie.
Die Deutsche Bank erhebt wie viele andere Institute pro Jahr ein „Verwahrentgelt“ in Höhe von derzeit 0,5 Prozent – unter anderem auf Anlage-, Giro- und sogenanntes „Flexgeld“. Die Negativzinsen werden erst fällig, wenn mit dem Kunden ein Verwahrentgeltvertrag geschlossen wurde. Heißt: Der Kunde muss zuvor den Strafzinsen zustimmen. Sie kommen dann zum Tragen, wenn auf den genannten Konten mehr als 50.000 Euro liegen. Beim sogenannten Flexgeld liegt der Freibetrag bei 25.000 Euro.
Geschäftsbanken müssen Zinsen an die Europäische Zentralbank zahlen
Hintergrund der „Verwahrentgelte“: Seit Juni 2014 müssen Geschäftsbanken im Euroraum Zinsen an die Europäische Zentralbank (EZB) zahlen, wenn sie bei dieser Gelder „parken“. In der Regel wird eine Gebühr von 0,5 Prozent fällig. Seit einiger Zeit gewährt die Notenbank den Geldinstituten aber Freibeträge für bestimmte Summen. Viele Geldhäuser geben die Kosten für die Negativzinsen an die Kunden weiter.
Auch die Commerzbank erhebt Negativzinsen in Höhe von 0,5 Prozent. Sprecherin Birgit Müller: „Die Freibeträge variieren je nach Dauer der Kundenbeziehung.“ Für Neukunden seit dem 1. Oktober 2020 liegt der Freibetrag bei 100.000 Euro.
Für Kunden, die erst seit dem 10. Mai bei der Commerzbank sind, gilt aktuell ein Freibetrag in Höhe von 50.000 Euro. Bei Bestandskunden (Kontoeröffnung vor dem 1.7.2020) würden individuelle Vereinbarungen getroffen. Alle Einlagen- und Girokonten werden bei der Berechnung von Verwahrentgelt einbezogen. „Unser primäres Ziel ist die Beratung und Umschichtung in andere Anlageformen“, heißt es.
Sparkasse Witten: Nur zwei Prozent der Privatkunden betroffen
Die Volksbank Bochum-Witten erklärt, der Großteil der Kunden und Mitglieder sei nicht vom Verwahrentgelt (0,5 Prozent) betroffen. Sprecher Thomas-Josef Schröter: „Wir bieten Freibeträge für Einlagenkonten von mindestens 50.000 Euro für Einzelkunden an, beziehungsweise 100.000 Euro für Gemeinschaftskunden – wie etwa Ehegatten oder Lebensgemeinschaften.“ Mit den Kunden treffe man individuelle Regelungen. Für Neukunden liegt die Freigrenze bei 25.000 Euro. Auch die Volksbank betont, zu „echten Anlagealternativen“ zu beraten.
Die Wittener Sparkasse – mit rund 140.000 Giro-, Spar- und Festgeldkonten das mit Abstand größte Institut in Witten – vereinbart nach eigenen Angaben ebenfalls ein „Verwahrentgelt“ individuell mit ihren Privat- und Geschäftskunden.
Dies gelte sowohl für Bestandskunden als auch für Neukunden, sagt Sprecher Klaus-Peter Nehm. Nur zwei Prozent der Privatkunden seien von einem „Verwahrentgelt“ betroffen. Keine Negativzinsen werden bei Wertpapieren, Investmentfonds oder Versicherungen fällig. Privatkunden könnten 75.000 Euro als Sichteinlagen (Einlagen auf Giro- und Tagesgeldkonten) verwahrentgeltfrei anlegen, hinzu kommen Spareinlagen (Guthaben auf Sparkonten) bis zu einer Höchstgrenze von 125.000 Euro, so Nehm. Der Verwahrentgeltsatz betrage 0,5 Prozent.
Suche nach einer Geldanlage ohne „Strafzinsen“
Verbraucherzentralen beraten zur Geldanlage
Die Verbraucherzentralen bieten Beratungen zur Geldanlage und Altersvorsorge an. Bis zu 90 Minuten kosten 190 Euro. Die Wittener Beratungsstelle an der Bergerstraße 35 bietet diese Termine nicht an, vermittelt aber welche andernorts: 02302/282 8101. Für kurze Fragen stehen immer mittwochs von 11-13 Uhr Berater der Verbraucherzentrale NRW telefonisch zur Verfügung. Kontakt: 0900/189 79 62. Kosten: 1,86 €/Minute aus dem deutschen Festnetz, die Mobilfunkpreise weichen ab.
Der Sparkassen-Sprecher begründet „Verwahrentgelte“ mit der Politik der Europäischen Zentralbank. Die EZB wolle, dass Banken und Sparkassen ihre Einlagen als günstige Kredite an den Markt weitergeben. Nehm: „Da die Zentralbank dieses eigentlich kurzfristige Steuerungselement seit nunmehr sieben Jahren einsetzt, stellen immer mehr Kreditinstitute ihren Kunden das Verwahrentgelt in Rechnung.“
Susanne Schulze, der die Deutsche Bank das Geldmarktsparen kündigen will, sucht nun nach anderen Möglichkeiten, um ihr sauer verdientes Geld ohne „Strafzinsen“ anzulegen.