Witten. Immer mehr Kinder und Jugendliche infizieren sich mit Corona. Das Gesundheitsamt arbeitet derzeit am Limit, es kommt zu zeitlichen Verzögerungen.
Die Infektionszahlen steigen bei den jüngeren Altersgruppen rasant an. Schon mit Beginn des neuen Schuljahres mussten viele Schülerinnen und Schüler in Witten in Quarantäne, fast täglich werden es mehr. Im gesamten EN-Kreis sind aktuell 70 Kinder und Jugendliche infiziert. Mehr als die Hälfte aller vom Gesundheitsamt ausgesprochenen Quarantänen – 480 von 949 – betrifft schulpflichtige Mädchen und Jungen.
Dass das Gesundheitsamt ganze Klassen nach Hause schickt, sei aber sehr selten, heißt es beim Kreis. Jeder Fall werde individuell bewertet. Entscheidend sei etwa, ob der Infizierte Symptome hat, wie die Belüftung war, ob durchgehend ein Mund-Nasen-Schutz getragen wurde oder auch das Alter der Infizierten.
In Witten muss derzeit keine Klasse vollständig zuhause bleiben
An den Wittener Schulen ist nach Angaben des Kreises derzeit keine Klasse vollständig zuhause, nur einzelne Kinder. An mittlerweile elf Schulen in der Ruhrstadt gibt es Coronafälle, 14 junge Menschen sind infiziert. In häusliche Quarantäne geschickt wurden insgesamt 108 Schüler – vor knapp einer Woche waren es noch 45. An fünf Schulen gab es positive Fälle.
Die Belastung im Gesundheitsamt sei aktuell durch die vielen Tests an Schulen „sehr hoch“. Anhand einer Ampel melde man die Auslastung bezüglich Kontaktverfolgung an die Bezirksregierung. „Und die steht auf Rot“, so ein Kreissprecher. Auch sei man zeitlich oft nicht so nah dran, wie man das gerne wäre. Es könne zu Verzögerungen von bis zu vier Tagen kommen.
Mitarbeitende aus anderen Bereichen verstärken bereits das Team der Kontaktnachverfolgung., weitere sollen folgen. An seine Grenzen ist das hiesige Gesundheitsamt aber noch nicht gestoßen. Die Fälle könnten noch individuell bearbeitet werden, so der Kreis. Vor kurzem hatte der Fall einer Schule in Dortmund Aufsehen erregt. Das dortige Gesundheitsamt sah sich wegen Überlastung nicht in der Lage zu ermitteln, welche Schüler in Quarantäne müssen. Die Schule sollte das selbst übernehmen.
Debatte um 14-tägige Pflichtquarantäne
Dass Schüler, die als Kontaktperson eingestuft werden, 14 Tage in Quarantäne müssen, auch wenn sie negativ getestet sind, hat bei Eltern und in der Politik eine Debatte ausgelöst. Die Landeselternschaft der Gymnasien in NRW bezeichnet die Quarantäne-Kriterien gar als „Distanzunterricht durch die Hintertür“ und fordert die Möglichkeit einer Freitestung nach einigen Tagen. Das will auch die Landes-SPD.
Viele Schulleiter in Witten sind vor allem eins – verunsichert und gestresst. „Ich wünsche mir klare, verbindliche Absprachen, die auch in allen Bundesländern gelten“, sagt etwa Michael Günzel, Leiter der Holzkamp-Gesamtschule.
16 Schülerinnen und Schüler können an seiner Schule derzeit nicht am Unterricht teilnehmen. Infiziert ist aber nur ein Oberstufenschüler, der allerdings durch die verschiedenen Kurse viele Kontakte hatte. Hinzu kommen einige Fälle, in denen die Geschwister der Holzkamp-Schüler infiziert sind und Bruder oder Schwester mit in Quarantäne müssen.
Schulleiter in Witten setzen auf Impfungen
Von Politik und Wissenschaft erhofft sich Holzkamp-Leiter Günzel, „dass schnell geklärt wird, wer geimpft werden kann“. Damit hat er auch die jüngeren Schüler im Blick. Für die unter Zwölfjährigen gibt es derzeit noch keinen zugelassenen Impfstoff. „Ich sehe das Impfen als einzige Möglichkeit, dieser Pandemie zu begegnen.“
Weniger als ein Prozent aller Schüler betroffen
Insgesamt besuchen über 12.900 Mädchen und Jungen die Wittener Schulen. In Quarantäne befinden sich 108 Schülerinnen und Schüler, also rund 0,8 Prozent von ihnen. Von Quarantänefällen betroffen sind das Ruhr- und das Schillergymnasium, die Otto-Schott-Realschule, die Gesamtschulen Hardenstein und Holzkamp, die Pestalozzi-Förderschule, das Berufskolleg und die Grundschulen Gerichtsschule, Hellwegschule, Baedekerschule und die Breddeschule. Im Kreis sind aktuell 676 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. 241 von ihnen sind unter 18 Jahre alt. Das sind rund 35 Prozent – jeder dritte Infizierte ist also ein Kind oder Jugendlicher.
Ähnlich sieht das Dieter Nientiedt vom Schiller-Gymnasium. „Impfen ist sinnvoll, das sehen wir gerade ganz aktuell bei uns.“ Am Montag startete der Abschlussjahrgang zu seinen Studienfahrten. Drei Schüler mussten zuhause bleiben, weil sie Kontakt mit einem Infizierten hatten. Zwölf andere Kontaktpersonen durften mitfahren – weil sie doppelt geimpft sind. Der stellvertretende Schulleiter wünscht sich für den Schulbetrieb eine Lösung „die Präsenzunterricht weitgehend ermöglicht, aber auch den Infektionsschutz berücksichtigt“. Er könne sich vorstellen, dass dazu nicht die vollen 14 Tage Quarantäne nötig seien.
Grundschulen trifft es besonders hart
Besonders hart trifft es die Grundschulen. Dort werden die Kinder regelmäßigen in „Pools“ getestet. Die Test werden also gesammelt anonym ausgewertet. Ist ein „Pool“ positiv, muss kurz darauf ein Einzeltest jedes Kindes bei der Schule abgegeben werden. Bis die Ergebnisse vorliegen, müssen alle Kinder zuhause bleiben.
Das ist derzeit an der Hellwegschule der Fall. Am Dienstagmorgen zeigten zwei Pool-Tests in der ersten Klasse positive Ergebnisse. In einer dritten Klasse gibt es bereits einen bestätigten Fall, zehn Kinder sind in Quarantäne. „Ich frage mich, wo das hinläuft“, sagt Rektorin Marion Tigges-Haar mit Blick auf die steigenden Zahlen. „Es tut mir so unendlich leid, dass ich den Kindern nicht das Schulleben bieten kann, was ich gerne würde.“