Witten. 7500 Flaschen wurden vom Schlamm gereinigt - jetzt verkauft die Wittener Brennerei Sonnenschein ihren „Flutwein“. Das Hochwasser und die Folgen.

Vor drei Wochen stand Sebastian Banhold, Geschäftsführer der Hevener Traditionsbrennerei „Sonnenschein“, in seinem Geschäft und kam sich vor wie in einem Albtraum. Das Ruhrhochwasser hatte auch sein Ladenlokal in der Straße „In der Lake“ geflutet. Der Schaden ist immens. Das Mobiliar in den Verkaufs- und Büroräumen wurde zerstört, die Wände des mittlerweile leer geräumten Gebäudes sind feucht. Aber Banhold und seine Mitarbeiter lassen sich nicht unterkriegen. Im aufgeräumten Lager verkaufen sie jetzt Wein und Spirituosen, die Wasser und Schlamm überstanden haben.

Sandra Leise, Mitarbeiterin der Brennerei Sonnenschein, schaffte nach dem Rückzug des Wassers beschädigte Ware aus dem Verkaufsraum.
Sandra Leise, Mitarbeiterin der Brennerei Sonnenschein, schaffte nach dem Rückzug des Wassers beschädigte Ware aus dem Verkaufsraum. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Das 50-Prozent-Angebot für den „Flutwein“ und andere alkoholische Getränke zog schon am ersten Verkaufstag viele Menschen ins Ruhrtal, die Rot- und Weißweine, Sekt und Schnaps, Champagner und Gin kistenweise mit nach Hause nahmen. Keinen Rabatt gibt’s auf von der Brennerei hergestellte Ware - wie etwa Liköre oder den Herbeder Tropfen, ein Kräuterlikör.

Rund anderthalb Wochen habe es gedauert, bis alle Flaschen gesichtet, gesäubert, nach Ländern und Weinsorten sortiert in den Regalen des Firmenlagers standen, sagt Sonnenschein-Mitarbeiter Ralf Motzkin. Jetzt warten Weine wie Vino Verde, Bardolino, Pinot Noir oder ein halbtrockener Riesling aus der Pfalz auf Abnehmer. Ralf Motzkin ist froh, „dass es für uns so weitergeht“.

7500 Flaschen sollen verkauft werden

Nachbarin befreit Streuobstwiese von Unrat

Zur Sonnenschein-Brennerei gehört eine Streuobstwiese mit vielen jungen Apfelbäumen. Auch diese stand unter Wasser, das Unrat hinterließ. Bäume waren vom Druck der Fluten umgekippt. Eine Nachbarin der Privatbrennerei tat dies in der Seele weh. Sie bot ihre Hilfe an. Vier Stunden lang hat die Frau Plastik und anderen Müll, der sich in dem Geäst der Bäume und in einem Zaun verfangen hatte, eingesammelt. „Das ist nicht der Rede wert“, findet sie.

Motzkins Chef möchte rund 7500 Flaschen verkaufen, um so Platz für neue Ware zu schaffen. Die will Sebastian Banhold auch aus seinem Lagerraum heraus verkaufen. Die Geschäftsräume sind leer geräumt, die Einrichtung ist auf dem Müll gelandet. Die Brennerei ist ein Sanierungsfall. „Es ist hier jetzt alles improvisiert, die Leute müssen ein wenig Verständnis und Geduld mitbringen“, sagt Banhold. Unter denen, die am Donnerstag zum Einkaufen gekommen sind, ist Andrea Paschen. Eine Stammkundin. „Wir kaufen hier schon über 20 Jahre ein“, sagt sie. Jetzt will die Bommeranerin das Geschäft auch in dieser schwierigen Situation nach dem Ruhrhochwasser unterstützen.

Der vom Wasser zerstörte Verkaufsraum der Brennerei Sonnenschein vor zwei Wochen. Geschäftsführer Sebastian Banhold geht von einem Gesamtschaden von einer Million Euro aus - seinen Betriebsausfall mitgerechnet.
Der vom Wasser zerstörte Verkaufsraum der Brennerei Sonnenschein vor zwei Wochen. Geschäftsführer Sebastian Banhold geht von einem Gesamtschaden von einer Million Euro aus - seinen Betriebsausfall mitgerechnet. © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

Der Vormholzer Timo Apeldorn (26) hat vom Lagerverkauf durch seine Freundin erfahren und Weiß- und Rotweine, Rosé und Sekt erstanden. Knut Wittborn ist mit seiner Frau zur Brennerei gekommen, hat ebenfalls Wein mitgenommen. Der Wittener erzählt, dass er mit seiner Frau anderthalb Wochen vor der Flutkatastrophe Urlaub an der Ahr gemacht hat. „Wir waren in einem Hotel in Ahrweiler, das war so ein schöner Ort. Wir sind dort durch die Weinberge gewandert.“ Was das Wasser im Ahrtal angerichtet habe, sei einfach nur schockierend, „furchtbar“, sagt seine Frau.

Baustoffe und Handwerker sind schwer zu bekommen

Die Ruhrfluten haben in Witten bei denen, die nahe am Fluss wohnen oder arbeiten, Sachschäden angerichtet. Aber die sind auch bei der Sonnenschein-Brennerei gravierend. Der Verkaufsraum und die Büros sind leer und nackt, in den Büros werden jetzt die feuchten Zwischenwände entfernt, damit Schimmel und Pilze keine Chance haben. „Die Baustoffe sind knapp, Handwerker gut gebucht“, sagt Geschäftsführer Banhold. Er geht von einem Gesamtschaden in Höhe von einer Million Euro aus - seinen Betriebsausfall mitgerechnet. Dass er sein Geschäft noch in diesem Jahr wieder regulär öffnen kann, daran glaubt er nicht. „Das wäre ein Wunder.“