Witten. Die Wittener Hausärzte haben am Mittwoch mit dem Impfen begonnen. Organisation und die Auswahl der Patienten sind eine Herausforderung.
Um kurz nach elf Uhr stehen die Menschen im Treppenhaus vor der Arztpraxis Pötter in Witten Schlange. Die meisten von ihnen warten auf ihre Impfung gegen Covid-19. Denn seit diesem Mittwoch (7.4.) sind auch die allermeisten Hausärzte der Stadt beim Impfen gegen die Pandemie mit an Bord. „Es ist toll, dass wir jetzt vorwärts kommen“, sagt Dr. Daniel Pötter.
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Das finden auch seine Patienten, von denen die meisten noch gar nicht damit gerechnet hatten, dass sie gleich zu Beginn an der Reihe sein werden – so wie der 46-jährige Maik Muhlbradt, der als Erster die schützende Injektion erhalten hat. „Schön“ sei das Gefühl nach der Erstimpfung. Im letzten Jahr haben er und seine Familie „nur gemacht, was wirklich notwendig ist – wie einkaufen.“ Und ansonsten „komplett runtergefahren“.
Wittener hielt Einladung zur Impfung zunächst für Aprilscherz
In der Schlange vor der Praxis steht auch Frank Schuppener. „Als ich den Anruf bekam, dachte ich zuerst, das sei ein Aprilscherz.“ Denn der Wittener ist 54 Jahre alt - eigentlich zu jung, um nun schon geimpft zu werden, wie er findet. Deshalb ist seine Freude etwas getrübt – auch, weil seine Frau, die wie er vorerkrankt ist, noch keinen Termin in Aussicht hat.
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Schon seit Tagen stehen die Telefone in der Gemeinschaftspraxis an der Ardeystraße nicht mehr still. Allein 200 Anrufer hätten am Vortag versucht, einen Impftermin zu bekommen, erzählt Pötter. Dabei hätten sich auch skurrile Szenen abgespielt. Ein Patient habe ihm 5000 Euro geboten, um früher geimpft zu werden, erzählt der 42-Jährige. Andere hätten ihn oder seine Mitarbeiterinnen am Telefon bedroht, „dass was passiert, wenn wir sie nicht vorziehen“. Viele Menschen hätten einfach große Angst, beschwichtigt der Mediziner.
Auswahl der Patienten fällt Hausarzt nicht leicht
In den Arztpraxen werden derzeit Männer und Frauen mit Vorerkrankungen, die in die Risikogruppe 2 eingestuft sind, mit Biontech geimpft. Also etwa Menschen mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) oder schweren Nieren- oder Leberschäden. Innerhalb dieser großen Gruppe können die Ärzte selbst priorisieren. Daniel Pötter hat für seine Praxis entschieden, zuerst die Patienten mit schweren Lungenleiden zu immunisieren.
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Doch es fällt ihm nicht leicht, auszuwählen. „Denn die Impf-Bereitschaft ist riesig.“ Mindestens 400 Impfwillige stehen auf seiner Liste. Dass er immer und immer wieder Patienten ablehnen muss, sei belastend. „Viele haben Bekannte, die an Covid-19 verstorben sind oder unter Langzeitfolgen leiden.“ Da sei der Wunsch nach einer schnellen Impfung sehr nachvollziehbar. Wenn Ende April, wie vorhergesagt, mehr Impfstoff in die Arztpraxen gelangt, werde sich die Situation hoffentlich entspannen, so Pötter. Seine Gemeinschaftspraxis könnte problemlos mehrere hundert Impfdosen in der Woche „unters Volk bringen“.
Planung der Impfungen ist bislang schwierig
Doch so weit planen kann der Mediziner gar nicht. Erst am Donnerstag wird Pötter voraussichtlich erfahren, ob er in der kommenden Woche erneut 36 Dosen für die Praxisgemeinschaft mit zwei Ärzten erhalten wird – oder mehr oder weniger. „Aber welchen Stoff ich bekomme, weiß ich nicht.“ Vorerst werde es wohl bei Biontech bleiben, dann sollen auch Johnson und Johnson und Astrazeneca hinzukommen.
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Das wird organisatorisch noch herausfordernder. Denn dann müssten kurzfristig etwa bei einer Lieferung Astrazeneca Frauen unter 60 Jahren wieder ausgeladen werden. Schon jetzt hatte die Praxis zunächst deutlich mehr Menschen zum Impfen eingeladen, weil man mit mehr Dosen gerechnet hatte. Einem Großteil davon musste man wieder absagen. „Es gab ständig unterschiedliche Informationen“, ärgert sich der Mediziner. „Das jetzt ist eine Mangelverwaltung.“
Geimpfte hoffen auf mehr Freiheit
Den wenigen, die dennoch direkt zu Beginn eine Schutzimpfung erhalten haben, fällt ein Stein vom Herzen. „Ich bin erleichtert, aber sowas von“, freut sich Manuela Schulz. „Man fühlt sich direkt etwas sicherer.“ Das letzte Jahr habe sie komplett zurückgezogen gelebt, aus Sorge nicht einmal mehr den Pflegedienst in die Wohnung gelassen. In naher Zukunft würde die 57-Jährige gerne wieder nach draußen gehen, Leute treffen. „Jetzt geht man sich ja eher aus dem Weg.“ Auch Frank Schuppener hofft auf mehr Freiheit durch die Impfkampagne: „Einfach mal einen Kaffee trinken gehen. Das fehlt uns eigentlich am meisten.“