Witten. Wilfried Neuhaus-Galladé ist Chef eines Traditionsunternehmens. Im Interview spricht der IHK-Präsident über Corona und seine Folgen.
Wie sehr leidet die Wirtschaft unter der Corona-Pandemie? Was hilft Unternehmen durch die Krise, was bedroht deren Existenz? Fragen, die Wilfried Neuhaus-Galladé, Wittener Unternehmer und Präsident der IHK Mittleres Ruhrgebiet, unserer Redaktion auch sehr persönlich beantwortet hat. Der Chef des Hevener Familienunternehmens J.D. Neuhaus konnte im Coronajahr 2020 auf eine 275-jährige Firmengeschichte zurückblicken.
Herr Neuhaus-Galladé, Sie stellen Maschinen her, mit denen schwere Lasten bewegt werden. Sie sind Weltmarktführer bei der Produktion von hydraulischen und pneumatischen Hebezeugen und Krananlagen und exportieren diese in die ganze Welt. Welche Folgen hat Corona für Ihr Unternehmen?
Wilfried Neuhaus-Galladé: Wir sind ein Maschinen- und Anlagenbauer und produzieren mindestens 80 Prozent für den Export. 2019 haben wir einen Umsatz von rund 35 Millionen Euro gemacht. Im vergangenen Coronajahr hatten wir einen Umsatzverlust von geschätzt mindestens 25 Prozent. Ab März 2020 gingen die Aufträge massiv zurück. Seit Juni 2020 haben wir Kurzarbeit. Wir setzen uns jeden Donnerstag mit den Betriebsräten zusammen und sprechen über die kommende Arbeitswoche, die Kapazitäten, die wir brauchen - je nach Auftragslage. Wir fahren auf Sicht, immer von Woche zu Woche.
Mussten Sie Mitarbeiter entlassen?
Nein. Trotz des massiven Rückgangs der Aufträge 2020 sind wir - noch - gesund. Das Mittel der Kurzarbeit hat uns sehr geholfen. Unsere Mitarbeiter mussten nicht um ihre Arbeitsplätze bangen. Wir sind dankbar, dass uns unsere Kunden in Europa und der Welt weiter verbunden geblieben sind.
Stichwort Digitalisierung. Hat Corona auch die Arbeit bei J.D. Neuhaus verändert?
Wir nutzen die digitalen 'Werkzeuge' noch intensiver als früher. Virtuelle Meetings mit Kunden und Lieferanten sind geübte Praxis. Die Geschäftsreisen wurden in den virtuellen Raum verlegt. Das ist für eine gewisse Zeit machbar. Neue Kontakte über virtuelle Meetings zu knüpfen, empfinden wir aber als schwierig.
Neuhaus-Galladé: „Das Instrument der Kurzarbeit hat sich als überaus hilfreich herausgestellt."
Was halten Sie von der Homeoffice-Offensive des Bundes für die Unternehmen?
Auch wenn ich eine verbindliche gesetzliche Vorgabe für fragwürdig halte: Seinen Angestellten dort, wo es möglich ist, Homeoffice oder ein mobiles Arbeiten anzubieten, halte ich für sinnvoll. Jedoch gilt es, Unterschiede zwischen den Branchen sowie den Betrieben zu berücksichtigen und nicht alle über einen Kamm zu scheren.
Halten Sie die finanzielle Unterstützung des Bundes für Unternehmen, die unter der Pandemie leiden, für richtig?
Im Grundsatz halte ich die Unterstützungsmaßnahmen für sinnvoll. Sie helfen dabei, die Wirtschaft zeitnah hochzufahren, wenn die Krise überstanden ist. Natürlich kommt es vor, dass Geld in Unternehmen investiert wird, die nicht mehr zu retten sind. Unter dem Strich bewirken die Fördermaßnahmen aber durchaus etwas. Viel schlimmer wäre es, wenn es diese Mittel nicht gäbe. Hinzu kommt, dass es eine Einschränkung der Gewerbefreiheit darstellen würde, wenn die Regierung Unternehmen verbieten würde, ihre Geschäfte weiterzuführen, ohne ihnen Unterstützung anzubieten.
Welche staatlichen Maßnahmen haben Ihrer Ansicht nach bisher gegriffen?
Das Instrument der Kurzarbeit hat sich als überaus hilfreich herausgestellt. Es versetzt Unternehmer in die Lage, ihre Mitarbeiter zu halten. Die Soforthilfe im Frühjahr 2020 hat einen wichtigen Teil dazu beigetragen, dass die Unternehmer, die zu diesem Zeitpunkt die ersten Auswirkungen des Virus zu spüren bekamen, über die Runden kamen. Andere Unterstützungsmaßnahmen - wie die November- und die Überbrückungshilfe III - stellen einen unverzichtbaren Rettungsschirm dar. Wünschenswert wäre, dass es bei diesen Maßnahmen weniger zu Verzögerungen kommt und man die Hilfen schneller beantragen kann.
„Ich freue mich schon wieder auf einen Stadtbummel mit meiner Frau."
Befürchten Sie eine Pleitewelle?
Besonders betroffen von der Pandemie sind natürlich jene Unternehmen, die seit einem knappen Jahr Einschränkungen hinnehmen müssen. Dies gilt besonders für die Gastronomie, die Hotellerie, den Einzelhandel, Dienstleister sowie die Veranstaltungsbranche. Nicht zuletzt ist die Existenz von Soloselbstständigen sowie Klein- und Kleinstunternehmen bedroht.
Sie gelten als Optimist. Worauf hoffen Sie in diesen schwierigen Zeiten?
Einer meiner Hoffnungen ist, dass der innerstädtische Handel diese harte Zeit übersteht! Ich mag mir nicht vorstellen, wie Innenstädte veröden, wenn die Vielfalt der Geschäfte einer Nutzung durch Wohnen und handelsfernes Gewerbe weichen würde. Der Onlinehandel ist nicht mehr wegzudenken, aber ich freue mich schon wieder auf einen Stadtbummel mit meiner Frau, um etwa Bekleidung, Elektronik und Sportartikel mit entsprechender Fachberatung zu kaufen. Ich möchte alle aufrufen, unsere regionalen Händler auch während des Lockdowns mit telefonischen oder Online-Bestellungen zu unterstützen.
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Sie sind im März 2017 zum Präsidenten der IHK Mittleres Ruhrgebiet gewählt worden, der knapp 28.000 Firmen aus Witten, Hattingen, Herne und Bochum angehören. Sie wollen 2022 für Jüngere Platz machen, haben Sie angekündigt.
Es ist ein hochinteressantes Ehrenamt. Ich mache das sehr, sehr gerne. Ich lerne als IHK-Präsident noch viel über die Region und deren Wirtschaft. Ich habe so viele neue Unternehmen kennengelernt, auch Start-up-Firmen. Es ist unglaublich interessant in dieser Region, die noch so im Wandel ist, eine solche Position zu bekleiden. Meine Amtszeit endet nach fünf Jahren, also 2022. Ich bin jetzt 63 - und strebe keine zweite Amtszeit an.
Haben Sie Ihre Nachfolge im eigenen Unternehmen bereits geregelt?
Wir sind seit 276 Jahren ein Familienunternehmen. Ich bin die siebte Familiengeneration am Standort Heven. Ich habe eine Tochter und zwei Söhne. Ich bin sicher, dass sie in den nächsten zwei, drei Jahren ins Unternehmen kommen werden.
>>> Der Industriegipfel Ennepe/Ruhr
Welche Weichen müssen für die Zukunft der Industrie in der Region gestellt werden? Dies ist eine der Fragen, mit der sich am Mittwoch (3. Februar) der Industriegipfel Ennepe/Ruhr beschäftigen wird. In der Online-Konferenz wird auch über die Folgen der Pandemie sowie die Themen Forschung, Umwelt und Klimaschutz gesprochen.
Gastgeber sind die IHK-Präsidenten Wilfried Neuhaus-Galladé und Ralf Stoffels (SIHK) sowie Landrat Olaf Schade. Der Gipfel richtet sich an Entscheider aus Industrie und Politik. Veranstalter sind die IHK Mittleres Ruhrgebiet, die Wirtschaftsförderungsagentur EN sowie die Südwestfälische Industrie- und Handelskammer zu Hagen (SIHK).