Witten. . Blumenhändlerin Kathrin Arntzen kam als 13-Jährige aus Mittelsachsen nach Witten. Sie fühlte sich als Kind entwurzelt, in der Schule hat sie sich den Akzent schnell abgewöhnt. Heute hat sie in Witten eine neue Heimat gefunden.
Rochlitz liegt klein und hübsch in Mittelsachsen. Mit einem romanischen Schloss, spätmittelalterlichen Kirchen, Häusern aus der Renaissancezeit. In Rochlitz wuchs Kathrin Arntzen auf, bis die Wende die Familie durcheinanderrüttelte. Im Februar 1990 fanden sie sich wieder in einer Zweizimmerwohnung in der Schlachthofstraße und von da ab „war es vorbei mit der unbeschwerten Kindheit“.
Für das damals 13-jährige eher unscheinbare Mädchen, mit großer Brille und sächsischem Akzent, war die Ankunft in Witten ein „Sprung ins kalte Wasser“. Sie fühlte sich entwurzelt, was die heute 38-Jährige immer noch verbittert. Längst hat sie geheiratet, führt mit ihrem Mann Dirk das Blumenhaus Arntzen am Stockumer Bruch, hat drei Kinder. Witten ist ihre neue Heimat. Eine unbeschwertere Vergangenheit hätte sie sich dennoch gewünscht.
Der Reihe nach: Kathrins Mutter lernte bei einem „Westbesuch“ eine Freundin kennen, Ulrike Kriebel aus Witten. Im November 1989 kam diese nach Rochlitz, im Dezember zeigte sie den ostdeutschen Bekannten den Dortmunder Weihnachtsmarkt. Na Kathrin, wollen wir nicht hierher ziehen, fragte man. „Und ich war geblendet.“ Wenige Wochen später packte die Familie ihre Habseligkeiten auf einen Anhänger, „mein Fahrrad, Anziehsachen, ein paar Spielsachen“. Kathrins älterer Bruder wollte in Rochlitz bleiben, die geliebten Großeltern auch.
Im Februar zog die Familie zu der Freundin in die Zweizimmerwohnung in der Schlachthofstraße. Kathrin meldete man in der Otto-Schott-Realschule an. Drei Monate wohnten vier Personen in Küche, Wohnzimmer, kleinem Bad. „Ich konnte da nicht schlafen. Die haben alle so geschnarcht“, erinnert sie sich heute lächelnd. Dankbar ist sie Ulrike Kriebel: „Sie hat uns in der Anfangszeit unheimlich geholfen.“
Irgendwann fanden ihre Eltern Arbeit und eine eigene Wohnung in Annen. „Das war im Mai. Da haben wir auf leeren Bierkisten gesessen und die WM geguckt. Wir hatten nicht mal Möbel.“ Mit ihren uncoolen Ost-Klamotten in die Realschule, dazu der sächsische Akzent – das war gnadenlos. „Ich habe sofort aufgehört zu sächseln.“ Die Schule fiel ihr schwer, zumal in der DDR kein Englisch gelehrt wurde. „Aber der Lehrer hatte Mitleid mit mir. Mit einer Nachhilfelehrerin habe ich die Texte auswendig gelernt.“ Sie schaffte den Schulabschluss.
1991 bewarb sich die junge Frau aus dem Osten für einen Ausbildungsplatz als Floristin in Stockum. Ein Jahr half sie an einem Nachmittag pro Woche im Laden aus, die Stelle bekam sie, das Wohlwollen ihrer Chefs nicht. Erst recht nicht, als sich zwischen Lehrmädchen und Sohn Dirk was anbahnte. „Meine Schwiegereltern wollten keine aus dem Osten“, sagt Kathrin. Ihr Mann spricht deutlicher: „Als wir verlobt waren, gaben meine Eltern in Fachzeitschriften Anzeigen auf: Suche hübsche Floristin, die in Familienbetrieb einheiraten möchte.“
Dirk blieb bei seiner Kathrin, überwarf sich mit den Eltern. „Mittlerweile sind wir 18 Jahre verheiratet. Wir arbeiten jeden Tag zusammen und warten trotzdem auf den Urlaub, um mehr Zeit füreinander zu haben.“
Ob der Weg in den Westen richtig war, darüber wurde nie gesprochen. In die alte Heimat verschlägt es sie immer seltener: „Erst waren die Kinder zu klein, inzwischen ist meine Oma zu alt.“ Geblieben sind ihr alte Mark-Münzen und der „Kindertag“, den sie mit ihren Sprösslingen, 14, elf und sieben Jahre alt, noch feiert.
Nur an einem weichen P oder K hört mancher die Vergangenheit. Ein „Ei verbibbsch“ käme Kathrin Arntzen nie über die Lippen: „Das hat bei uns in Sachsen keiner gesagt. Das hat man sich bestimmt im Westen ausgedacht.“