Witten. Bis 1990 gab es in Witten-Annen eine „Exklave“: 120 Briten lebten in den Engländerhäusern nahe des Gussstahlwerks. Einige sind geblieben.
In Witten-Annen wohnten 40 Jahre lang britische Soldaten mit ihren Familien. Sie hatten allerdings kaum Kontakt zu den Deutschen. Erst 1990 gingen die „Engländerhäuser“ an die Bundesrepublik über und wurden an Privatleute verkauft.
Als im Mai vor 75 Jahren Deutschland offiziell den Zweiten Weltkrieg beendete, fiel Witten in die britische Zone. Zwei Jahre lang regulierten Offiziere der Britischen Rheinarmee das öffentliche Leben und gaben nach und nach den Deutschen ihre Autonomie zurück.
1952 beschlossen die britischen Oberbefehlshaber, für die Soldaten und ihre Familien mehrere Häuser unweit des Gussstahlwerks in Annen zu bauen – dort arbeiteten viele Briten. So entstanden für die Offiziere zwei Doppelhäuser zu Beginn der Friedhofstraße und daneben in der Freiligrathstraße, für die Soldaten sechs deutlich kleinere Häuser im weiteren Verlauf der Freiligrathstraße, aber mit viel Gartenfläche in Richtung Westfeldstraße und schließlich eine komplette Siedlung mit 18 Reihenhäusern in einer Stichstraße auf der Bonnermann’schen Weide. Die Sackgasse war zunächst namenlos, bekam aber Ende 1955 den Namen des Wittener Apothekers und Ornithologen Friedrich Baedeker.
Für englische Familien war die Military Police zuständig
„Für uns gibt es die nicht“, sagte ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung 1976 zu unserem Autor. Aufgrund des Militärabkommens unterlagen die Mitglieder der 27 englischen Familien nicht der deutschen Meldepflicht. Das bedeutete aber auch: Hier hatte die deutsche Polizei nichts zu sagen, sondern nur die Military Police. Verbindungsoffizier George McGill erklärte damals: „Im Bereich Dortmund sind vier Regimenter stationiert. Etwa alle zweieinhalb Jahre werden sie ausgetauscht.“ Das konnten neue Stationierungen zum Beispiel in Paderborn oder auf Zypern sein.
Mit den Wittenern kamen die 120 Briten aus der Exklave in Annen nur selten in Kontakt. Jedoch hatten die Soldaten in der Westfeldstraße ihr Stammlokal („Zur Schaukel“) und weit hinter dem Wullenstadion ihren Aschen-Sportplatz, der lange Jahre „der Engländer“ genannt wurde. Aber: Die Kinder zweier britischer Familien, deren Mütter Deutsche waren, spielten gelegentlich mit Wittener Kindern.
Familie Smart lebt heute noch in Witten
Die Schwestern Sylvia Smart und Susanne Malik, geb. Smart, wohnen heute noch in Witten und können sich gut an die rund fünf Jahre in der Baedekerstraße erinnern: „Mein Vater war Sergeant und arbeitete als Elektroingenieur bei der REME in Wetter. In seiner Freizeit zauberte er leidenschaftlich gerne“, erzählt Susanne. Dieses Hobby hat Zauberer Bert Smart an seine Tochter weitergegeben, denn sie ist heute als „Oberhexe“ der Magic Academy bekannt. Auch ihre Mutter Wilma Smart war in Witten keine Unbekannte. Sie saß viele Jahre für die SPD im Stadtrat.
Die Schwestern wuchsen zweisprachig auf, fuhren täglich mit dem Schulbus nach Dortmund zur Primary School und gingen wie ihre Eltern gerne in den Armee-eigenen Supermarkt in Wambel, um dort Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände aus Großbritannien steuer- und zollfrei einzukaufen. Das kleine Reihenhaus in Annen war sogar möbliert.
27 Häuser gingen an die Bundesrepublik über
Briten konfiszierten das Gussstahlwerk
Das Gussstahlwerk in Annen wurde (wie auch andere Firmen) von den Briten nach Kriegsende gleich konfisziert und für eigene militärische Zwecke genutzt. Die Royal Electrical Mecanical Engineers (REME) hatten dort von 1945 bis 1947 ihren 158. Brigade Workshop und von 1947 bis 1957 ihren 5. Infantry Workshop (Werkstatt) in den unter- und oberirdischen Hallen an der Stockumer Straße eingerichtet.
Dort warteten und reparierten sie ihre eigenen Fahrzeuge und Panzer, z.B. den Centurio. Erst zwölf Jahre nach dem Krieg wurde schließlich am Torhaus der Union Jack eingezogen.
Als mit dem „2-plus-4 Vertrag“ am 12. September 1990 der Zweite Weltkrieg auch staatsrechtlich endgültig vorbei war, zogen sich die vier Siegermächte mit ihren Truppen aus Gesamt-Deutschland zurück. Die Flächen und Immobilien der Alliierten gingen in den Besitz der Bundesrepublik über. So auch die 27 Häuser in Annen.
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Ab 1993 bot die Hagener Filiale der Bundesvermögensverwaltung ihren Verkauf per Höchstgebot an. Die neuen privaten Besitzer der Häuser renovierten diese und bauten sie teilweise um. Hartwig Mehrens wohnte ab 1996 für ein paar Jahre in einem der „Small Houses“ auf der rechten Straßenseite und ist heute noch begeistert von den 100 Quadratmetern Wohnfläche. Die Böden hatten Parkett, die Doppeltüren waren aus Glas und besonders pfiffig fand er die Durchreiche von der Küche ins Wohnzimmer. „Das Beste war aber der 25 Meter lange Garten. Das war ganz toll für unsere Kinder“, erzählt er rückblickend.