Witten. Die Pandemie hat Allgemeinmediziner in Witten dazu veranlasst, sich digital besser aufzustellen. Der Leiter der Uni-Ambulanz sieht Nachholbedarf.
Mit einem Kratzen im Hals zum Arzt zu gehen und dort womöglich länger zu warten, das war vor der Corona-Pandemie noch Alltag. Mit dem Virus hat die Digitalisierung in Wittener Hausarztpraxen jedoch an Fahrt aufgenommen.
Videosprechstunden etwa ermöglichen es Patienten und Ärzten, sich wirklich mit sicherem Abstand, nämlich digital zu begegnen. Auch Dr. Holger Schwensow hat seine Praxis an der Pferdebachstraße in Witten „coronabedingt aufgerüstet“.
„Das fängt an beim Einlesen der Versicherungskarte“, erklärt er. Viele Schritte ins Digitale seien für die Patienten auf den ersten Blick gar nicht ersichtlich, erhöhten aber die Sicherheit und beschleunigten die Abläufe, so der Allgemeinmediziner. Etwa wenn Termine online vereinbart, Mails anstatt von Briefen ausgetauscht und alle Daten zu wichtigen Medikamenten und Allergien auf der Versichertenkarte gespeichert werden.
Arztpraxen in Witten erhalten für Digitalisierung finanzielle Unterstützung
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Entwicklungen wie diese werden zum Teil von den Krankenkassen finanziell unterstützt. Schwensow etwa hat als eine von rund 20 Wittener Hausarztpraxen mit der Techniker Krankenkasse (TK) einen Vertrag abgeschlossen, der eine „Pauschale für besondere Betreuungsleistungen“ verspricht. Wenn eine Hausarztpraxis über mindestens drei von sechs digitalen Infrastrukturangeboten verfüge, gebe es außerdem einen „Innovationszuschlag“, sagt Harald Netz von der Techniker.
„Dinge, die mit einem finanziellen Benefit verbunden sind, wird man irgendwo finden“, kommentiert Dr. Frank Koch von der Ärztlichen Qualitätsgemeinschaft Witten das Abkommen. Er findet aber auch: „Dass Digitalisierung notwendig ist, wissen wir alle.“ In den Wittener Praxen wünscht er sich noch mehr digitale Angebote und ein strukturiertes Herangehen. Seine Idee: „Das Thema Digitalisierung durch eine Arbeitsgruppe begleiten.“
Wichtige Themen auf der Website platzieren
Auch Prof. Dr. Tobias Esch, Leiter der Hochschulambulanz der Uni Witten/Herdecke, hat Anregungen, wie sich Arztpraxen digital besser aufstellen können. Hausärzte könnten etwa Themen und Empfehlungen, die immer wieder im Patientengespräch aufkämen, dauerhaft in Form von Videoclips auf der Website platzieren. Das spare Zeit. Bei der Digitalisierung in der Allgemeinmedizin sieht er einen „riesigen Nachholbedarf“.
Digitalisierung und Datenschutz
Allgemeinmediziner Dr. Holger Schwensow sieht nicht nur die Vorteile der Digitalisierung. In der Wittener Ärzteschaft werde auch viel über Praktikabilität der Neuerungen und über Datenschutz diskutiert.
Auch Dr. Frank Koch von der Ärztlichen Qualitätsgemeinschaft Witten sieht Risiken etwa bei der elektronischen Patientenakte, deren Einführung er grundsätzlich begrüßt. Er sagt aber auch ganz deutlich: „Patienten können widersprechen.“ Die elektronische Patientenakte, die 2021 eingeführt werden soll, sei keine Pflicht.
Dr. Tobias Esch, Leiter der Universitätsambulanz, sagt: „Die Sorge der Patienten kann ich total verstehen.“ Allerdings lägen die Daten der Patienten schon jetzt virtuell vor. Die Änderung ab 2021 sei, dass auch der Patient seine Daten einsehen könne. Das könne vielleicht die Angst lindern, so Esch.
In der Universitätsambulanz ist man schon ein paar Schritte weiter. Esch nennt beispielhaft die digitale Patientenakte. Darin sind Arztbriefe, Röntgenbilder sowie die Dokumentation des behandelnden Arztes auch für den Patienten einsehbar. „Der Patient kann in alles reinschauen, was ihn betrifft“, erklärt Esch. Was an die elektronische Patientenakte erinnert, die 2021 eingeführt werden soll, ist für den Mediziner noch mehr als das: „Wir erweitern das Prinzip um maximale Transparenz.“
Dank Videosprechstunde fallen Wartezeiten in der Praxis weg
Hausarzt Holger Schwensow legt seinen Fokus aktuell auf andere Themen. Es sei zum Beispiel geplant, eine Arzthelferin so fortzubilden, dass sie Hausbesuche übernehmen kann. Von dort können sie die Untersuchungsdaten dann digital in die Praxis schicken. Er als Arzt schalte sich bei Bedarf per Video dazu. Klingt nach Science Fiction, ist aber bereits Realität. „Wir sind in der Zukunft angekommen“, sagt der Allgemeinmediziner.
Er schätzt an der Tele-Medizin unter anderem, dass Ärzte während der Corona-Pandemie erreichbar sind, „ohne dass die Patienten in die Praxis kommen müssen“. Dadurch verkürzten sich außerdem die Wartezeiten. „Für jüngere Leute ist das die Zukunft“, sagt Schwensow.
Er weiß aber auch um die Hürden, die seine älteren Patienten für den digitalen Fortschritt überwinden müssen. Bei einer Videosprechstunde etwa hielt sich der betagte Patient das Smartphone wie gewohnt ans Ohr – obwohl das ganz gesund war. „Da gibt es manchmal auch lustige Situationen“, sagt der Arzt und lacht.
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