Witten. Wie reagiere ich richtig, wenn mein Hund in eine Beißerei gerät? Nach dem Drama in Witten-Herbede gibt der Sachverständige Klaus Haumann Tipps.

Nach der Beißerei auf der Hundeinsel in Herbede, bei der ein 57-Jähriger Bochumer einen Boxer-Mischling mit Messerstichen tödlich verletzt hat, schlagen die Wellen der Empörung hoch. Von einer völligen Überreaktion sprechen die einen, die anderen äußern hingegen Verständnis und sagen, der Mann habe seinen Hund nur verteidigen wollen. Aber wie reagiere ich denn richtig, wenn mein Hund in eine Beißerei gerät? Wir haben darüber mit Klaus Haumann (57) gesprochen, der seit über 15 Jahren die Hundeschule „Canis familiaris“ in Witten-Durchholz betreibt und geprüfter Sachverständiger für das Landeshundegesetz ist.

Ganz direkt: Was kann ich tun, wenn ich auf der Hundewiese in so eine Situation komme?

Klaus Haumann: Punkt 1: Man geht nicht auf eine Hundewiese. Nicht nur, dass der Hund sich da jede Menge Keime und Krankheiten holen kann. Es kommt da auch regelmäßig zu Beißereien – öfter als Sie meinen. Und das hat seine Gründe.

Welche denn?

Viele gehen mit ihren Hunden da hin, weil die Tiere von dort nicht abhauen können – und sich nicht zurückrufen lassen. Unerzogene Hunde eben. Und wie will man 30, 40 freilaufende Tiere reglementieren? Das geht überhaupt nicht. Und schon gar nicht, wenn ihre Besitzer dahin kommen, um mit anderen zu quatschen. Die kriegen doch erst mit, was los ist, wenn die Beißerei schon im Gange ist.

Aber warum kommt es denn gerade auf Hundewiesen zu Beißereien? Das Gelände ist doch groß, die Hunde können sich ausweichen...

Dazu muss man die Dynamik von Hundegruppen verstehen. Hunde in Bewegung drehen hoch, die sind nach dem Rennen viel aufgeregter als zu Hause im Korb. Und dann setzt eine blöde Kettenreaktion ein. Dann ist der kleine Hund, mit dem man gerade noch gespielt hat, plötzlich nicht mehr der Kumpel, sondern der Hasi – und wird gejagt. Der Kleine hat dann ein Viertelstündchen Todesangst und Frauchen sagt: „Guck mal, wie schön die Fangen spielen...“

Sie sprachen von mehreren Gründen. Gibt es noch mehr?

Sabine Haumann (54) mit ihren Terriern Cragar (10) und Tikka (1). Die 54-Jährige vereint seit über 25 Jahren die Arbeit mit Menschen und Hunden als hauptberufliche Verhaltens- und Hypnotherapeutin.
Sabine Haumann (54) mit ihren Terriern Cragar (10) und Tikka (1). Die 54-Jährige vereint seit über 25 Jahren die Arbeit mit Menschen und Hunden als hauptberufliche Verhaltens- und Hypnotherapeutin. © FUNKE Foto Services | Barbara Zabka

Ja, das nächste Problem ist: Hunde sind territorial veranlagt. Wenn auf „ihre“ Insel jemand neues kommt, dann ist das für die Tiere, als wenn bei uns Fremde durchs Wohnzimmer laufen würden. Das erkennen viele Halter nicht – und ebenso wenig, wenn ihrem Hund das alles zu viel wird.

Aber ich möchte doch, dass mein Hund spielen kann, Sozialkontakte hat.

Klar, aber dabei kommt es nicht auf die Menge, sondern auf die Qualität an. Sie lassen ihre Kinder doch auch nicht mit jedem Blödmann spielen. Und wenn doch, dürfen Sie sich nicht wundern, dass die Kinder nicht Mathe machen, wenn sie unbeaufsichtigt sind.

Heißt es nicht, dass die Hunde Konflikte unter sich regeln?

Sicher, das tun sie auch. Nur heißt das nicht, dass Sie dann anschließend mit dem Ergebnis zufrieden sind – wenn nämlich einer von beiden schwer verletzt ist. Übrigens sagen den Spruch meistens die Leute, die glauben, dass ihr Hund den Kampf gewinnt. Es muss einem klar sein: Ein Hund kämpft ohne Moral und Ethik, der setzt alles ein, auch körperlich.

Der Hund das Raubtier...

Boxer-Mischling Bella wurde von den Messerstichen getötet.
Boxer-Mischling Bella wurde von den Messerstichen getötet. © Hamer

Ja genau, aber die Leute vergessen oft, dass sie ein Raubtier an der Leine haben. Und erwarten, dass es mit anderen Raubtieren entspannt auf der Blumenwiese tanzt. Das ist doch absurd – das sind die selben Menschen, die es nicht einmal schaffen, sich trotz unserer Gesetze mit ihrem Nachbarn zu vertragen.

Jetzt mal konkret. Was kann ich tun, wenn ich in eine bedrohliche Situation komme?

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Am besten: Meinen Hund abrufen und weggehen, umdrehen. Wenn das nicht möglich ist, bringe ich mich zwischen meinen Hund und den Angreifer. Ist der angeleint, leine ich meinen auch an. Außerdem kann ich versuchen, den anderen mit Körpersprache wegzuschicken – ich mache mich groß, schreie ihn an. 90 Prozent aller Hunde lassen sich davon beeindrucken.

Und wenn er zu den anderen zehn gehört?

Ist der Angreifer frei, lasse ich meinen Hund auch frei, damit er ausweichen kann. Niemals auf den Arm nehmen – sonst haben Sie schnell einen Biss im Gesicht. Wenn er nachsetzt, schmeißen Sie mit einem Schlüssel, mit der Leine, dann ist Maßregeln eines fremden Hundes erlaubt.

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Und wenn sie sich dann doch verbissen haben?

So lange die Hunde in Bewegung sind, niemals reingreifen. Sonst ist ganz schnell ein Finger ab, das ist gerade erst einem Kunden von uns passiert. Die Hunde schnappen in so einer Situation nach allem, was sich bewegt. Und nicht rumschreien, so schwer es auch fällt. Hat ein Hund den anderen gepackt, dann kann ich ihn fixieren. Am besten mache ich das, in dem ich ihn am Halsband festhalte und das solange drehe, bis er keine Luft mehr bekommt und sein Opfer loslässt. So kann ich verhindern, dass der Angreifer seine Beute schüttelt. Denn dabei kommt es zu den schwersten Verletzungen.

Was sagen Sie zu dem Vorfall auf der Hundewiese?

Ich war nicht dabei. Aber ich würde nicht gleich von Schuld sprechen. Der Mann wollte seinen Hund verteidigen. Und Menschen in Panik reagieren nun einmal unberechenbar.

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